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Mittwoch, 28. Dezember 2016

Der Wächter [Kurzgeschichte]



Der Wächter 
[Eine Ich-Einheit taucht auf] 

Diese neue Idee, die sie seit kurzem hatte, eine Zeitlang nicht mehr im Ich-Stil zu schreiben, sondern einen Teil der Handlung ins fiktive Geschehen abzugeben, so überlegte sie, war eigentlich ein genialer Pakt mit dem inneren Wächter. Der Kollege, den sie erst kürzlich als bewußte Ich-Einheit in sich wahrgenommen hatte. 

Sie hatte lange überlegt, woran es wohl lag, das sie nie auffallen oder herausragen durfte aus der Masse. Dieses Gefühl in ihr war tief und es beeinflußte nahezu ihre gesamte Kommunikation mit der Umwelt in einer Art Selbstzensur. Manchmal ließ es sie etwas lockerer von der Leine und sie durfte freier handeln. Und manchmal machte der Wächter den Sack zu und verbot sich jede weitere Äußerung zu gefühlt brisanten Themen, zu denen das Ego eigentlich noch eine Menge zu sagen gehabt hätte. 

Meistens wurde das Ego dabei vom Kumpel der Emotionen begleitet, der sein möglichstes tat, um das Ego durchzudrücken, was sie innerlich und oft auch körperlich als anstrengend empfand. Aber dann verweigerte der Wächter diesem Treiben situativ seine Zustimmung und Stille ward, musste werden, während sie sich gleichzeitig unangenehm emotional aufgepusht fühlte. Eine Art innere Zwangsbremsung fand statt. 


"Themawechsel bitte" 

oder

 "vergiß das Thema"

 "Schweige !"

"Fertig aus." 


So in etwa lautete dann immer die knappe innere Anweisung. Nicht wortwörtlich, aber so fühlte sich die Botschaft aus dem Innen an. 

Sie hatte immer nicht recht verstehen können, warum sie derlei "Anweisungen" bekam. 

Sie wußte und sie verstand nicht, was oder wer da "sprach". Deshalb konnte sie das "gesagte" nicht für sich einordnen und damit eben leider auch nicht verstehen. Also machte sie sich oft Vorwürfe deswegen und Worte wie "feige" und "arschlos" kamen ihr in den Sinn, weil sie sich aus ihrer alten Sicht heraus gefühlt "unnötig" um bestimmte Situationen herumdrückte und die Konfrontation mied. 

Dabei war das alles Unsinn. Sie hatte gute Gründe konfrontative Momente zu meiden. Es war ihr innerer Wächter, der sie ausbremste. Der Teil in ihr, der sie vor Unvorsichtigkeiten und Ressourcen übersteigenden "Nicht-Klugheiten" warnte und diese zu verhindern suchte, indem er versuchte, sie von etwas abzuhalten, was er als riskant einstufte. 

Dieser Wächter war eine ihrer Ich-Einheiten und damit ein Teil von ihr. 

Der Wächter handelte immer in der Summe ihrer bisher gemachten Erfahrungen bei Handlungen im und mit dem Außen. 

Er tat das, um sie zu schützen. 

Er zeigte ihr ihre Grenzen auf, vermutlich auch, damit sie sich nicht länger in inhaltsleere Machtkämpfe um alte Positionen verwickelte.

Außerdem wollte er sie damit vor schlechten Emotionen und der Wiederholung von alten Mustern schützen.

Er, der innere Wächter, wollte sie vor Schaden bewahren. Und er tat gut daran, dachte sie. 


Er war auf ihrer Seite, er war eine wertvolle Ressource und er handelte immer auf der Grundlage aller bisher in ihrem Leben gemachten Erfahrungen, hielt sie sich erneut den Kern seiner Bestimmung vor Augen, um es nur ja nicht wieder zu vergessen. 

Denn sowas passierte ihr manchmal mit klugen Gedanken. Eben noch da, waren sie Sekunden später schon wie von Zauberhand verschwunden. Und dann ärgerte sie sich. Also prägte sie sich diese Sätze gut ein, denn sie wollte nichts davon im Treiben der Gedanken verlieren. 

Ja, diese Sätze erklärten ihr eine ganze Menge Dinge. Sie wußte nun, warum sie oft [noch] nicht über etwas sprechen durfte und sie verstand auch, warum der Wächter eine bestimmte Art der Sprache in der Aufarbeitung ihrer Lebenserfahrungen forderte. Es ging dabei um Achtsamkeit, Würde und Respekt. Sich selbst und anderen gegenüber. Also forderte er die Achtsamkeit stellvertretend für sie ein und das war natürlich wichtig, auch in dieser Sache stimmte sie ihm voll zu.  

Er war ziemlich weise, dieser Wächter. Er "wußte" oder ahnte von Problemen und Schwierigkeiten, die ihr Ego oft [noch] gar nicht wahrgenommen und somit auch noch nicht als mögliches Problem erkannt hatte. 

Das war es auch, was daran so schwierig war. Das war es, was es ihr schwierig machte, ihn als Wächter und als einen schützenden Freund zu erkennen und zu verstehen. 

Denn sie wußte nicht, das er es war, sie verstand seine wichtige Aufgabe noch nicht und sie so wußte sie nicht, 
warum er sie zum Schweigen brachte oder sie von Handlungen Abstand nehmen ließ. Und so kam es wieder und wieder dazu, dass sie, durch alte Konditionierung und aus der ihr eigenen Unsicherheit heraus der Bewertungs- und Beurteilungsspirale verfiel, und sich selbst gegenüber immer wieder in alten Mustern von Abwertung und Ausgrenzung handelte.

Denn das war, war sie durch ihrer Adoptivmutter gelernt hatte, gar bitter hatte lernen müssen! 

Und so folgte sie diesem Muster immer wieder (gelernt ist halt gelernt) wie einem roten Faden als Leitmotiv und fand sich auch im Außen oft darin bestätigt, sich selbst schlecht oder klein zu machen und sich damit weiterhin klein zu halten und so war alles seinen schrecklichen Weg gegangen, all die vielen Jahre und Jahrzehnte.

Sie war getaumelt, von einer Traumatisierung in die nächste und dann kam zwischendrin immer wieder eine Phase des scheinbaren Vergessens und der Kompensation. Eine wohl notwendige Atempause für ihr angeschlagenes und erschöpftes Ich. Ein Break der ihr das Luft holen von all den schlimmen Erlebnissen ermöglichte, in der Zeit zwischen den traumatischen Erfahrungen. Ein ewig langer Kreislauf.

Den Wächter hatte sie den überwiegenden Teil ihres Lebens nicht bewußt vernommen. Ich glaube, das sie damals nichts von ihm wußte, woher auch. Allenfalls ahnte sie, das da etwas war.

Sie war noch sehr jung und sie hörte ihn vielleicht irgendwie, in Form einer Unlust, eines Unwillens, dies oder jenes lieber nicht zu tun, dieses oder jenes lieber zu vermeiden, doch sie verstand den Sinn hinter denen diffus empfundenen Mahnungen und der inneren Haltung nicht. Und so war sie außerstande diese Ich-Einheit als Ich-Einheit und als ihren Wächter erkennen. Zu dieser Zeit wußte sie ja nicht einmal, dass es sowas wie Ich-Einheiten gab, dachte sie, gleichzeitig die Stirn runzelnd über soviel Unwissen und schmunzelnd über ihre damalige Naivität. 

Trotz alledem tat der Wächter getarnt als Teil der Intuition sein bestes, positiv auf sie einzuwirken, in all den mal sehr schlimmen und dann wieder auch sehr schönen Phasen ihres Lebens. 
  
Vor kurzem führte sie ein Gespräch mit einer Überlebenden, einem Menschen, mit dem sie augenscheinlich einige Erfahrungen teilte. Und sie berichtete ihrer Gesprächspartnerin von dieser Stimme im Inneren, die sie seit einiger Zeit diffus wahrnahm und das sie sich wundere, warum sie ihr immer wieder dazu riete nicht aus der Masse hervorzustechen, warum sie sie warnte, nicht aus der Masse herauszuragen und warum sie ihr auftrug, ganz allgemein nach Möglichkeit nicht aufzufallen. Es ging dabei irgendwie um ihre Sichtbarkeit, soviel war ihr inzwischen klar geworden, der Rest lag im dunkeln.

Im Gespräch wurde ihr geraten über diese innere Haltung oder "Stimme" nachzudenken und vielleicht später darüber zu schreiben, etwas was sie hier und heute mit Freuden tat. 

Und nach einer Nacht des ausgiebigen Nachdenkens kam sie schließlich auf die [so naheliegende] Lösung und erkannte den Wächter als Wächter und als eine ihrer Ich-Einheiten. Wahrscheinlich, weil die Zeit jetzt wohl reif für diese Erkenntnis war, dachte sie. 

Sie begriff und verstand den Wächter zunehmend als wichtige innere Ressource. Eine, die schon immer in ihr geschlummert hatte und die sie [zumindestens mental und geistig] lange Zeit oder den überwiegenden Teil ihres Lebens nicht als eine solche verstanden und begriffen hatte. 

Und DAS hatte sich nun gerade geändert. Vor etwa einem Monat fiel es ihr wie "Schuppen von den Augen", dachte sie amüsiert über den metaphorischen Begriff. 

Warum fiel einem sowas nicht wie "Schuppen aus den Haaren" oder wie "Schuppen vom Kopf", dachte sie in einer leicht rebellischen Anwandlung, die sie spontan lachen ließ. Das hätte irgendwie logischer geklungen. Woher das wohl stammte, dieses geflügelte Wort? 

Es war ja auch egal, versuchte sie ihren Geist wieder einzufangen, woher die Schuppen nun fielen, es zählte doch nur, DAS sie fielen, dachte sie schmunzelnd. 

Denn Antworten zu bekommen und gewisse Dinge in Bezug auf sich selbst und ihre Geschichte zu verstehen, das war in der letzten Zeit immer wichtiger für sie geworden.

Und die Frage nach dem Sinn und dem Grund dieser "inneren Anweisungen" durch den Wächter war nun beantwortet. Das war super! fand sie.

Nachdem sie Vergleiche, Bewertungen und Urteile im Umgang mit sich [und der Außenwelt] unterließ oder zumindest drastisch reduziert hatte [gleich neben Erwartungen und Erwartungshaltungen an sich selbst und ihre Umwelt] war sie innerlich frei geworden, die Stimme ihres inneren Wächters klar zu hören, sie zu erkennen und zu verstehen. Das hatte sie einen Riesenschritt weiter gebracht in der persönlichen Entwicklung. 

Man konnte auch mit den inneren Ich-Einheiten kommunizieren, indem man sie einfach direkt ansprach, hatte sie herausgefunden. Und sie bekam auf diese innere Ansprache in der Regel auch Reaktionen, wenn sie versuchte mit dieser Ich-Einheit zu kommunizieren. Manchmal in Form "inneren Wissens" und manchmal in Form körperlicher Symptome. 

Hatte der Wächter beispielsweise Stress mit dem, was sich das Ego wagte, kam es bei ihr zu spontanen Anfällen von Tinnitus oder Bluthochdruck oder der Puls stieg rasch an und das Herz raste, resümierte sie für sich die Erfahrungen der letzten Wochen.  

In einem solchen Moment ging sie nun seit kurzem direkt in den Kontakt mit ihrem Wächter und damit ins innere Gespräch mit ihm. Dabei beruhigte sie ihn, indem sie zum Beispiel verschiedene Handlungsstrategien vor ihm ausbreitete. 

Sie zählte ihm im Geiste denkbare Alternativen und Optionen auf, für den Fall, dass ihr Ego dem Wächter ein wenig "zu mutig" geworden war. 

Die Reaktion kam meist schnell. Er verstand sie fast immer auf Anhieb.

Sie hatte überlegt gehandelt, sie war bewußt ein Wagnis eingegangen, im Wissen um vorhandene Handlungsoptionen, falls sich ihr mutiger Vorstoß als ein Fehlschlag herausstellte. Er war beruhigt. Sie war im Kontext und sie war zentriert. Seiner Ansicht nach waren das wohl gute Voraussetzungen, um neue Erfahrungen zu machen und sich aus alten Mustern und aktiv von alten Erinnerungen zu befreien. 

Und so wußte sie von nun an auch, das sie mit ihrem Wächter verhandeln konnte, so das er nicht aus Selbstschutz und Sorge vor Überforderung  wieder Depression, Ängste oder einen Rückzug über sie stürzen lassen würde. 

Und so waren all diese Gedanken und Erkenntnisse wahrlich wegweisend und kraftgebend. Alles war gut wie es war, dachte sie dankbar.

Sie hatte sich gerade erst eine Liste geschrieben und darauf grob die zu durchlaufenden Phasen der Entwicklung aufgelistet, um sich so einen Überblick über ihre Situation zu erarbeiten.



Sie befand sich nach ihrer Einschätzung inzwischen im Bereich zwischen Akzeptanz und Frieden. Manchmal steckte sie auch nochmal in der Trauer fest, aber ihre Entwicklung bewegte sich klar in Richtung Akzeptanz und Verstehen, und damit hin zum Frieden. Zu ihrem Frieden. Sie mochte diese Betonung, die akzentuiert herausarbeitete, das es IHR Friede war. 

Erheblich zu diesem Frieden beigetragen hatte die Entdeckung des inneren Wächters. 

"Das Verstehen für seine Funktion als Wächter und die Erkenntnis, das alle seine getroffenen Entscheidungen oder "inneren Anweisungen" auf der Summe aller ihrer bisher gemachten Erfahrungen ruhten.

Diese Entdeckung war die Entdeckung einer mächtigen Ressource. Es war eine Kraft die schon immer in ihr gewesen war und die sie immer schon zu schützen versuchte, ihr gesamtes Leben lang",

fasste sie ihre Erkenntnisse erneut zusammen.  

Im Alter von 53 Jahren durfte sie durchaus von einer langen menschlichen Zeitspanne sprechen, von mehr als einem halben Jahrhundert gemachter Erfahrungen. 

Die Tiefe dieser Entdeckung machte sie gerade ein wenig schwindelig, aber sie reihte sich auch nahtlos ein in eine ganze Reihe von Erkenntnissen in den letzten zwei Jahren, allesamt sehr bedeutsam für sie. 

Lang gesuchte Antworten auf lang gehegte Fragen waren das. Es ging um Muster und Monster, um Strukturen, um Verbindungen, um Kontext, um Verstehen und es ging um den Mut sich all dem "direct in your face", vordringend zum Kern, zu stellen. 

Sie fühlte, nein, sie WUßTE, das war der Weg. Das war IHR Weg, hinaus aus dem Schlamassel und endlich weg von der Vergangenheit hin zu einem reellen Hier und Jetzt. 

Darüber, das wußte sie instinktiv ebenso, öffnete sich eine Türe in die Zukunft. In ihre Zukunft auf dieser "verrückten Welt", die sich mit der Zeit als doch nicht ganz so verrückt und unlogisch zeigte, wenn.. ja, wenn man genau hinsah und die vermeintlich kleinen Dinge des Lebens wiederentdeckte. 

So war ihr versöhnlich zumute, ihr Inneres war friedlich und auf Verstehen gestimmt. Doch auf die "Quatschköppe dieser Welt" wollte sie trotzdem auch weiterhin einen achtsamen Blick haben, das nahm sie sich fest vor. 

Die kürzlich getroffene Entscheidung ab nun erstmal in einer experimentellen Phase in Form von Kurzgeschichten aus ihrem Leben zu erzählen, begeisterte sie. Es schien ihr eine ganze Fülle an Möglichkeiten zu bereiten über viele kleine Begebenheiten aus ihrem Leben zu erzählen, ohne sich dabei komplett nackich zu machen. Jedenfalls fühlte es sich für sie so an, etwaige Leserinnen oder Leser ihrer Kurzgeschichten mochten das vermutlich oder vielleicht anders wahrnehmen.  

Letztlich gab es in etwa so viele Wahrnehmungen [und damit persönlich empfundene Wahrheiten], wie es Menschen auf der Erde gab und das waren derzeit  irgendwas um die 8 Milliarden Menschen. Und wenn man da noch drauf rechnete, wieviele Wahrnehmungen ein einzelner Mensch vielleicht hatte oder haben konnte, war die Summe unterschiedlicher Wahrnehmungen und Wahrheiten eine exorbitant hohe Zahl, beschloß sie den Gedanken. 

Ihre Wahrnehmung war eine von vielen im Teich des Lebens und das war so in Ordnung für sie. 

In der Küche roch es verführerisch nach Kuchen und frischem Tee und sie beschloß, das - Ende - ins Handy zu tippen, um das Gerät danach beiseite zu legen. Es war alles gesagt, dachte sie zufrieden. 

- Ende -


Pat - 15.11.2016, 17:22h Part I
          21.11.2016, 16:09h Part II
          28.12.2016 erstveröffentlicht
          31.12.2016 überarbeitet
          12.02.2017 überarbeitet
          14.06.2017 überarbeitet 
          15.06.2017 last edit

Tags: Wächter, Überlebende, Schutz, Erkenntnis, Gedankenwelt, Depression, Adoptivmutter, Muster, Kurzgeschichte, Geschichte, Sie

Foto: Pixabay  

Montag, 14. November 2016

Der Besuch [Kurzgeschichte]



Der Besuch 

[Auftritt Herr B.]


Kennen sie auch diese Menschen, denen man mit dem, was man tut, oder nicht mehr tut, scheinbar nie gut genug zu sein scheint? Als ob aus ihrer Sicht etwas über einem läge, eine Art von Fluch oder ein Makel. Und wahrscheinlich ist es auch genau so, dachte Sie, man reichte ihnen nie aus. 

Egal, was man unternimmt, es ist diesen Menschen nie genug, dachte Sie. Vielleicht würde an dieser Stelle auch ein "nicht" anstatt des "nie" reichen, aber nein, gefühlt war es immer ein klares "nie", das von diesen Menschen in der Kommunikation bei ihr ankam.

"Ich schreibe jetzt.", sagte Sie zu ihrem Gegenüber. - "Aha, du schreibst..." Ein ungläubiger Blick schien Sie zu treffen . - "Was schreibst du denn so?", fragte ihr Gegenüber, scheinbar lauernd. 

"Ich schreibe über mein Leben, Gedichte und Geschichten", antwortete Sie, während Sie seine Mimik aufmerksam studierte.

Schlagartig schien sein Interesse an ihren Worten nachzulassen, resümierte Sie für sich die Veränderungen der Microausdrücke in seinem Gesicht.  

Ach, "so Eine" bist du nun also.. schien er zu denken. 

Okay, warte, ich möchte dir etwas zeigen.. dachte Sie im Stillen und sagte dann laut zu ihm: "Ich lese dir etwas vor, wenn du möchtest...?" 

Ihr Satz endete mit einem hörbaren Fragezeichen. 

Der Blick, dem Sie ihrem Gegenüber dabei zuwarf, hatte gefühlt etwas bittendes und das gefiel ihr nicht. Denn hinter ihrem Blick an ihn steckte die Hoffnung, das ihr Gegenüber sich auf diese Offerte, Sie wieder näher kennenzulernen, einlassen möge. Um dabei ein wenig über ihre Entwicklung in den letzten Jahren zu erfahren. Irgendwie wünschte Sie sich dieses Interesse von ihm. 

Immerhin hatte er sich viele Jahre einfach komplett ausgeklinkt aus ihrem Leben und das könnte er jetzt eigentlich wieder ein bischen "gut machen", dachte Sie mit zusammengekniffenden Lippen, spontan ein wenig beleidigt durch die Erinnerung. 

Während Sie sich gleichzeitig über ihren wahrscheinlich bittenden und hoffenden Blick an ihn ärgerte.

"Pokerface Baby!"

"Lass ihn nicht so tief blicken, Baby!" 

forderte eine Stimme aus ihrem Inneren mit Nachdruck. 

Haha, "gut machen", überhaupt, tsss, überlegte spontan ein anderer Teil von ihr. Das klang lustig. Nicht! 

Als ob es sich überhaupt jemals wieder gut machen ließe, das er sich nie wirklich um Sie und ihrer beider Sohn geschert hatte. Weil immer etwas anderes "wichtiger war" und halt auch "weil". Weil seine Art zu leben ihm vorging und weil in dieser Art zu leben halt kein Platz für Sie war. 

Weil isso, fertig aus. Nein, Sie hatte gerade überhaupt keine Lust diese Art Gefühle zu vertiefen, also schickte Sie die Gedanken in die Wüste und konzentrierte sich wieder auf ihren seltenen Besucher. 

Das letzte Mal hatte Sie ihn vor einem Jahr zu Gesicht bekommen und davor hatte Sie unfassbare acht Jahre weder etwas von ihm gesehen, noch gehört. [Pah! Sie war wirklich verärgert.]

Sie mochte ihm keine Texte über das Dunkle zumuten, weil Sie Angst hatte, das er ihr dann mit der Aufmerksamkeit absprang. Und das würde Sie schade finden, wenn Sie ehrlich war, denn er sollte doch merken dürfen und können, das Sie sich verändert hatte und am Leben gewachsen war. 

Sie entschied sich, ihm zwei Texte zur Auswahl vorzuschlagen und erläuterte ihm in beschreibenden Worten kurz Inhalt und Message der Texte, damit er eine Entscheidungsgrundlage erhielt. 

Gleichzeitig ärgerte Sie sich darüber, das es ihr so sehr wichtig zu sein schien, das er ihre innere Veränderung nicht nur bemerkte, sondern zudem anerkannte, das es diese positive Entwicklung bei ihr gab!

"Warum zum Teufel, ist dir das nur so wichtig, dachte Sie mit zerfasernden Nerven", weil Sie sich durch die ungewohnte Situation und die darin enthaltenen Spannungsfelder gestresst fühlte. 

Parallel dazu überlegte Sie auf einer anderen Ebene, das Sie ihm ruhig auch etwas von den älteren und den von ihr sogenannten "dunklen Texten" hätte vorlesen können.

Denn vielleicht war ihre Wahrnehmung, das er dann abspränge, schlichterdings auch nur eine voraussetzende Annahme und möglicherweise war es sogar eine unzutreffende Annahme. Vergallopierte Sie sich etwa gerade?

Puh, allmählich geriet Sie in enervierende Gedankenräder und es wurde höchste Eisenbahn sich daraus wieder zu befreien und fortzufahren, notierte Sie sich noch schnell im Geiste und holte dann innerlich tief Luft. 

Und dann präsentierte Sie ihm die folgenden zwei Geschichten zur Auswahl:



Er [nennen wir ihn der Einfachheit halber ab jetzt mal den Herr B.] entschied sich für die zuletzt genannte Geschichte und Sie begann ihm, immer noch leicht überfordert mit dieser Situation und auch immer noch etwas unsicher in der Präsentation ihrer Texte, daraus vorzulesen. 

Mit der Zeit fing sich ihre angespannte Stimme und allmählich glitt Sie auch hinein, in den vertrauten Rhythmus des von ihr geschriebenes Textes. Die Versprecher wurden auch langsam weniger und Sie spürte, das Sie an Raum gewann. Raum, an und in dem Sie wachsen konnte, dachte etwas in ihr erleichtert.    

Sie offenbarte sich ihm, Sie präsentierte ihm ihre Gedankenwelt und die damit verknüpften emotionalen Ebenen. Sie öffnete sich.

Ob auch er sich für Sie öffnen könnte und würde, stand allerdings auf einem anderen Blatt. Das konnte Sie gefühlt weder fordern noch erwarten, dachte Sie. Es war etwas, was sich nur wieder neu ergeben konnte, beschloß Sie den Gedanken im Stillen, während ein anderer Teil von ihr sich wunderte, das Sie überhaupt derlei Gedanken hatte. 

Das ist schon auch etwas creepy, dachte dieser Teil. 

Gleichzeitig fragte sich etwas in ihr, ob es diese Art von Freiraum lassen war, die dazu führte, das er sich seinen Freiraum tatsächlich auch genauso nahm, wie er es halt getan hatte. Ohne dabei groß auf Sie oder seinen Sohn zu schauen. Wenn man es genau nehmen wollte, überlegte Sie, hatte er auch im Kleinen nicht auf sie beide geschaut und war nicht dagewesen, als sie ihn gebraucht hatten. 

Sie wußte trotzdem keine Antwort darauf. In diesem Moment konnte Sie sich keine Antwort auf diese stumme innere Frage geben. Sie hatte schlichtweg keine. Deshalb vertagte Sie diese Sache und tat sie in das Schubkästlein zu den anderen unbeantworteten Fragen, um es anschließend energisch zurück in ein Regal ins Innere zu schieben. 

Langsam las Sie ihm in der Außenwelt die letzten Worte der Geschichte vor und endete dann, gespannt auf seine Reaktion. 

Etwas in ihr fragte, ob Sie sich nun dafür ein Lob wünschte oder worum zur Hölle es ihr hier eigentlich ging.

Aha, da war der Part, der einem das eigene Tun gern madig machte, dachte sie angeekelt. Ein innerer Kritiker-Typ mit Hang zum Täter und zur Abwertung, den sie nun schon eine Weile scharf im Blick hatte, auf eine achtsame und aufmerksame Weise. 

Dann erinnerte Sie sich:

"Du wünscht dir, das er deine Entwicklung wahrnimmt. Das er wahrnimmt, das sie stattgefunden hat. Aus irgendeinem Grund ist dir das wichtig.", erklang es ruhig aus ihrem Inneren. 

Das Gespräch mit Herrn B. endete in einem Gespräch über die Klickzahlen ihres Blogs und das es ja nicht gerade eine hohe Zahl sei und folglich mit diesen "Texten" für Sie wohl auch "kein Geld zu machen sei" und überhaupt, so richtig habe er mit dem Text auch nichts anfangen können. 

Dieser letzte Satz war nicht, was er sagte, aber er war das, was er dachte und was Sie hörte, da war Sie sich sicher. Sie konnte regelrecht spüren und "riechen", das er so dachte. 

Die anderen Sachen hatte er allerdings gesagt. Jedes einzelne davon. Und damit hatte er im Prinzip nichts anderes ausgedrückt, als: 

"Ja, schön für dich, das du schreibst. Das sagt aber erstens nichts über die Qualität aus (da hat er recht, dachte Sie unwillkürlich) und zweitens ist der Markt klein und deshalb wirst du damit nichts verdienen." 

"Womit er vermutlich auch Recht hat", machte sich erneut eine Stimme in ihr bemerkbar. Nur, was wenn das garnicht ihre Priorität und ihr Anspruch waren?!, dachte sie seufzend. 

"How about this Baby?!"

flüsterte es wie ein Echo in ihrem Kopf, um dann langsam in rollenden  Tönen wieder zu verhallen. 

Letztendlich sagte er ihr doch: 

"Wozu schreibst du überhaupt. Ich versteh nicht, warum du das tust. Du kannst es eigentlich, meiner Meinung nach, auch gleich lassen, weil es verschwendete Lebenszeit und Lebensmüh ist." 

"Punkt, Baby!" krähte etwas fröhlich in ihr. 

Am Ende seiner unausgesprochenen Worte stand für Sie klar erkennbar: 

"Du kannst wie gehabt keine Leistung einbringen, die dir Geld bringt und deshalb hast du auch nicht wirklich etwas erreicht in meinen Augen. Du bist derselbe verkackte Charakter, der zu nix taugt und der du immer warst." 

Bei diesen Worten schien er sie geradezu anzufunkeln, das sah sie in ihrer Vorstellung deutlich vor sich. 

[Discordia kicherte.]

Und *Bämm* stand Sie wieder vor ihrer Sie abwertenden und Sie klein haltenden Adoptivmutter, diesmal manifestiert in Herrn B., ihrem situationsbedingten Gegenüber. 

Holy shit! 

Aber, Sie hatte dazugelernt. Sie hatte diese alten Abwertungsmuster verstehen und erkennen gelernt und ihnen damit einen großen Teil ihrer Macht über sich genommen. Und sie wußte genau, warum und für wen Sie schrieb. 

In erster Linie schrieb Sie für sich selbst, weil es ihr gut tat, weil Sie sich darüber kennenlernen konnte, überlegte Sie. In zweiter Linie schrieb Sie für Menschen, die ihre Texte lesen würden und die vielleicht daraus etwas für sich mitnehmen konnten oder mochten. Sie schrieb auch, um ein Beispiel zu geben, wie es sein kann im Leben, um davon zu erzählen wie es sein konnte.

Um zu schildern wie und mit welchen Gedanken und Erfahrungen Sie ihren Weg ging. Und Sie schrieb, weil es ihr Spass machte und Freude bereitete. Und nicht zuletzt schrieb Sie, weil Sie sich während des Schreibens kreativ ausdrücken konnte und das war vielleicht sogar der beste aller Gründe zu schreiben, dachte Sie.

Und der Leistungsgedanke, pah, der stand ganz sicher nicht oben auf ihrer Liste, dachte sie, während innerlich etwas empört schnaubte. 

Ihrer inneren Argumentation folgend waren Klickzahlen und vordergründige Verwertungsideen nunmal nicht so wichtig für Sie. Es würde Sie lesen, wer Sie lesen "sollte" oder wollte. 

"So einfach, Baby!" 

flüsterte es in ihr.

"Die Texte werden erreichen, wen auch immer sie erreichen sollen.."

rief es sanft hinterher. 

Sie würde das entspannt sehen und nicht viel auf diese scheinbar so wichtigen Klickzahlen geben. Sie nahm sich nochmal entschieden vor, nicht in diese Leistungsfalle und unter diesen Druck zu geraten. 

Alles war gut, wie es gerade war, sagte Sie sich. Wer weiß, ob Sie das überhaupt wollte, dieses "von ganz vielen gelesen zu werden", pah! Das war ja auch noch nicht mal ansatzweise geklärt oder überhaupt innerlich als Thema angekuckt, überlegte Sie. Und zum jetzigen Zeitpunkt wollte Sie darüber auch garnicht nachdenken, also schob Sie das Thema gedanklich zurück in die Ecke der ungelegten Eier. 

Ein Geräusch aus dem Draussen drang in ihr Bewußtsein und ließ Sie aus den Überlegungen hochschrecken. Uih, das klang fies. 

Draußen sang irgendeine arme Kreatur das letzte Lied ihres Lebens. Zumindest klang es danach. Das Geräusch war schrill, leidend, in Wellen auflodernd und ebbte dann langsam ab. Ihr schauderte und eine dicke fette Gänsehaut kroch ihr den Rücken herauf. Das brachte Sie zurück in die Gegenwart und raus aus dem Dschungel ihrer Gedanken. 

Plötzlich fiel ihr auf, das Sie innerlich schon wieder vor ihrer Adoptivmutter gestanden hatte, als Sie über das Gespräch mit Herrn B. nachsinnierte. 

"Auf Wiedersehen Mama!" rief Sie spontan erleichtert aus und schon rauschte sie ab, diese "Hexe", wie Sie sie manchmal emotional entflammt für sich nannte. 

"Endlich haut sie ab und lässt mich in Ruh!," überlegte Sie. 

"Ihre Auftritte werden immer kürzer und es gelingt mir inzwischen immer öfter, sie, die Erscheinung der Adoptivmutter selbst, wie auch die Auftritte dieser Erscheinung, aus einer heilsamen Distanz zu erleben.", fasste Sie das Geschehen für sich erleichtert zusammen. 

Das machte ihr Mut! Und Mut konnte Sie gut brauchen. 


- Ende - 


Pat - 07.11.2016
          20:53h
edit  14.11.2016


Tags: Kurzgeschichte, Gedankenwelt, Adoptivmutter, schreiben, Muster, Abwertung, Leben, Besuch, HerrB, Sie, Discordia 


zu diesem Text:

Dieser Text wurde in Form einer experimentellen Kurzgeschichte um eine Art Alter Ego von mir geschrieben. Ihr Name ist mir noch nicht bekannt, daher tritt sie schlicht als "sie" in Erscheinung.

Der Text basiert überwiegend auf erlebten und zum Teil auf fiktiven Inhalten und Angaben, um mir dergestalt ein empfundenes Mehr an schriftstellerischen Freiheiten zu ermöglichen. 

Betrachten sie den Text bitte einfach [wie ich] als Experiment. ;)


Donnerstag, 31. Dezember 2015

Gedanken und Wünsche zum Jahreswechsel

Gedanken & Wünsche zum Jahreswechsel 



Wieder einmal geht ein Jahr zu Ende und das ist eine gute Gelegenheit, das vergangene Jahr anzuschauen und sich zu überlegen, was man sich für das kommende Jahr wünscht.

Das Jahr 2015 war für mich ein Jahr der Bewusstwerdung von vielen Dingen. 

Politisch betrachtet habe ich in diesem Jahr wieder angefangen, mich offensiv zu informieren und auseinanderzusetzen. Aufgrund persönlicher Umstände hatte ich dem politischen Geschehen lange, lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Habe alles nur eben so am Rande verfolgt. Larifari halt. Mal kurz Nachrichten hören und thats it. 

Tja, in Konsequenz fühlte ich mich dann in diesem Jahr wie aus der Kälteschlafkammer gestolpert. Das war eine ziemlich heftige Erfahrung, da sich die Dinge doch erheblich mehr verschlechtert hatten, als ich das in meinem "Dornröschenschlaf" so mitbekommen hatte. Inzwischen bin ich im großen und ganzen wieder auf dem Laufenden. Gut so! Es ist wichtig mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und informiert zu sein. 

2015 war für mich ein Jahr der Bewußtwerdungen und Erkenntnisse, wie ich schon weiter oben schrieb. Stückchenweise wurden mir Dinge klar. Das ich endlich Frieden machen muss (und will) mit meiner Vergangenheit. Das es wichtig für mich ist, das anzugehen und das ich mich, um dieses Ziel zu erreichen, mit meinen Dämonen auseinandersetzen muss. Frieden schließen muss mit Menschen, die mir sehr wehtaten. 

Ich werde das meiste nie vergessen können, aber ich kann versuchen zu verzeihen oder zu vergeben. Versuchen, über den Badewannenrand hinauszuschwimmen und zu versuchen, zu verstehen, warum es so kam, wie es halt kam. Ich möchte versuchen mit den jahrzehntelangen Folgen meiner psychischen und physischen Gewalterfahrungen und der Lieblosigkeit meiner Adoptivmutter klarzukommen. Möchte meine verkorkste Kindheit hinter mir lassen. Genauso wie die chaotische Zeit danach, in der oft stellvertretend andere Menschen die Rolle meiner Mutter einnahmen, auch weil ich es zuließ. 

Ich möchte Fragen stellen und sie dann beantworten. Im Unterschied zu früher inzwischen weitgehend ohne Wut und Verzweiflung im Bauch. Ich will nicht mehr wütend sein. Wut hat, wenn sie zu lange dauert und dabei zu groß wird, etwas sehr zerstörerisches und gewalttätiges an sich. Das muss weg. Ich will das so nicht mehr. Ich will reinen Tisch machen. Ich will meinen Frieden machen. Ich bin des Kämpfens müde. 

In dem Zusammenhang möchte ich auch lernen, besser mit meinen, manchmal sehr starken, Emotionen umzugehen. Nachdem ich diesen Sommer ehr zufällig feststellte, das ich hochsensibel bin, war dies eine sehr erfreuliche Entdeckung für mich. Endlich wusste ich, warum ich war, wie ich halt war und dass ich keineswegs alleine so bin und was es konkret damit auf sich hat, hochsensibel zu sein. 

Das man als HSP (hochsensible oder hochsensitive Person) eine erweiterte Wahrnehmung hat, da man seine Umwelt quasi filterlos wahrnimmt und damit auch mehr und anders wahrnimmt als nicht hochsensible Menschen. Auch das man durch die HS dazu tendiert, Emotionen sehr intensiv und stark zu empfinden, ist mir inzwischen klar. Ich habe gelernt, das man als HSP oft stärkere Gefühle für Menschen hat, als diese für einen aufbringen können oder wollen.

Seitdem ich mir dieser Dinge bewusst  geworden bin, bin ich nicht mehr so stark die Getriebene meiner Emotionen. Ich bin nun weniger "verschwenderisch" mit meinen Emotionen, besondern bei den negativen. Ich will mich weniger darauf einlassen, will verhindern, dass schlechte Emotionen Überhand nehmen und mir damit schaden. Ich versuche die Aufs und Abs sachlich und gelassen(er) zu betrachten und loszulassen, was sich nicht zu (be)halten lohnt. 

Das ist toll, weil es mir Kontrolle zurückgibt. Wenn ich bemerke, das mich etwas total abfuckt, kann ich versuchen aus der Situation zu gehen, versuchen den Kreislauf zu durchbrechen, mich gegen die emotionale Überlastung wehren. 

Ich möchte lernen, wie man sich selbst etwas gutes tut, wie man vernünftig auf sich aufpasst, sich vor Überforderung und Überlastung schützt, dem Körper gibt, was er braucht (Essen, Bewegung, ein ausgewogenes und gesundes Leben). 

Das konnte ich nämlich bislang alles ehr nicht besonders gut. Anderen konnte ich immer gut zur Seite stehen und raten. Bei mir selbst klappte das aber leider nie besonders gut. Bei mir selbst war ich oft blind oder/und ratlos. Ich verstand nicht, worauf ich zu achten habe. Und obendrein ging ich oft brachial mit mir und meinen Ressourcen um. Weil ich es nicht besser wußte. 

Ich habe mich seelisch viel zu oft selbst fertig gemacht. Habe mich abgeurteilt und ging dabei mit gnadenloser Härte gegen mich selbst vor. Kaum jemand fuhr je härter mit mir ins Gericht, als ich selbst. Ich gab oft die eilfertige Dienerin der Depression und ließ mich von alten Dämonen (siehe dazu den Eintrag "Die Stimme in mir [Erzählung]") knechten und klein reden. Habe mich wieder und wieder als Hobbit unter Menschen empfunden, und sogar selbst in diesem Gefühl bestärkt. Ohne zu begreifen, das ich dieses Gefühl; nicht richtig zu sein, wie ich bin; den Erlebnissen mit meiner Adoptivmutter zu verdanken habe. 

Deshalb ist Achtsamkeit im Umgang mit mir selbst und mit meiner Umwelt inzwischen ein sehr wichtiges Thema für mich. Und was soll ich sagen.. es funktioniert! :) Habe ich für mich erstmal reflektiert, was mit mir geschieht; was mir Probleme macht, warum mir das Probleme macht; kann ich daran gehen, die Umstände für mich zu verbessern. Das zu erkennen, war ein großer und wichtiger Schritt für mich. 

Für 2016 nehme ich mir vor, nicht mehr so krass auf die up's und down's des Lebens zu reagieren; achtsam mit mir und den Menschen um mich herum zu sein, loslassen zu lernen - und zu vertrauen, dass sich die Dinge finden werden, wenn die Zeit bereit ist. Denn ein jedes hat seine eigene und ihm vorbestimmte Zeit. Und wenn es noch nicht gut ist, dann bin ich auch noch nicht am Ende, denn am Ende wird alles gut. ;-) 

Ich möchte einen Weg fürs verzeihen und vergessen mit meiner Vergangenheit und denen, dir mir wehtaten, finden. Ich möchte das Leben wieder genießen lernen, denn ich habe nur dieses eine. Und ich möchte der Depression weniger Raum geben. Ich möchte mich 2016, wie in diesem Jahr, weiter konkret meinen Ängsten stellen und versuchen sie abzubauen. Ich möchte milde mit mir sein, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Jeder stolpert mal. Es ist okay zu stolpern, wenn man danach wieder aufsteht, das Krönchen richtet, kurz durchschnauft und es dann wieder versucht. Irgendwann klappt es. Alles zu seiner Zeit. 

Ich wußte mir viele Jahre nichts zu wünschen, hatte keine Vorsätze (auch weil sowas meist eh schiefgeht) und dieses Jahr reiche ich alles nach. Quasi im Paket. Ala: "Da bitte 'Schöpfer', nimm hin und hilf mir bitte!" 

Ich bin demütig(er) geworden in diesem Jahr. In mir entwickelt sich langsam auch eine stille Dankbarkeit für das, was ich habe. Ich schärfe inzwischen bewusst meinen Blick; dafür, was ich habe; anstatt darüber zu lamentieren oder zu weinen, was ich nicht habe. Ich bin dankbar für die guten Dinge, die ich (wieder) erleben darf. Ich bin dankbar, das ich am Leben bin und das sich meine Gesundheit verbessert hat, dankbar das ich mein Kind wieder ganz bei mir habe; dankbar, das mein Körper mir langsam verzeiht, was ich ihm lange Zeit zugemutet und angetan habe. Ich bin dankbar für gute Gespräche und unterstützende Worte, wenn ich mal wieder mies drauf bin oder nicht weiter weiß. Ich bin dankbar für ein "ich verstehe dich" oder ein "es muss schlimm gewesen sein, dies zu erleben". Ich bin dankbar dafür; gesehen, gehört und in meinem Schmerz oder Leid wahrgenommen zu werden. 

Ich bin Menschen dankbar für ihre Zeilen, die oft nicht mal wissen, dass ich ihnen dankbar bin, weil sie nicht wissen, dass ich ihre Zeilen gelesen habe. Aber doch, auch ihnen bin ich dankbar. Weil sie mich inspirieren und weil ich durch sie erfahre, das nicht nur ich dieses oder jenes Problem habe, sondern das es viele Menschen gibt, die hadern, leiden und verzweifeln. Dadurch kann ich mich einreihen und das Gefühl des isolierten Leidens durchbrechen. 

So steht am Ende dieses Jahres; nach vielen finsteren Jahren voller schlechter Erfahrungen mit viel Frust, Dunkelheit, Angst, Tränen und Wut; viel Dankbarkeit und viele Erkenntnisse.  Und das fühlt sich sehr gut an. 

Ich wünsche allen, die diesen Eintrag lesen, einen guten Jahresabschluss 2015 und einen guten Rutsch ins Jahr 2016. Möget ihr euren Weg finden, wo er bis jetzt noch nicht [klar] zu erkennen ist. 

Ich wünsche euch die nötige Klarheit und Stärke diesen Weg dann auch konsequent zu gehen. Denen, die mit Erkrankung und Einschränkung(en) zu kämpfen haben, wünsche ich Linderung und Besserung. Möget ihr gute Menschen an eurer Seite haben, die zu euch stehen, euch zuhören und euch unterstützen. Und möget ihr eure anvisierten Ziele erreichen und den Frieden finden, den eure Seele benötigt. 

Pat - 31.12.2015 

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