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Donnerstag, 10. November 2022

Irgendwann [Depression] (eine Konserve aus der Vergangenheit)




Irgendwann

(Aus der Reihe: Ich und die Depression • Die Depression und ich - Teil 1/Irgendwann) 


Irgendwann ist man einfach an diesem einen Punkt. Irgendwann kann man einfach nicht mehr. Irgendwann hat man keine Kraft mehr, das eigene "Anderssein" weiter vor der Leistungsgesellschaft zu verstecken. Irgendwann will man sich vielleicht auch nicht mehr verstecken. Vielleicht ahnt man zu dieser Zeit schon seit Jahren, dass man nicht mehr mithalten kann. Lauter kleine und größere Begebenheiten, Erlebnisse und Probleme führen es einem immer deutlicher vor Augen. Man ist am Ende seiner Kräfte. Man funktioniert nicht mehr. 

Es fällt einem immer schwerer die innere Angeschlagenheit und das Verwundetsein  zu verbergen. Man will nur noch seine Ruhe haben. Man braucht diese Ruhe. Dringend. Und so nimmt man sich immer mehr Auszeiten. Zieht sich zurück. Verschwindet tage-, wochen- oder monatelang aus den sozialen Netzen, geht nicht mehr ans Telefon, ignoriert Whapp, stellt vielleicht auch die Türklingel aus. Man isoliert sich. 

Im Prinzip spricht nichts dagegen sich nach innen zurückzuziehen, doch meistens tut man es als depressiver Mensch verschämt und heimlich. Und da liegt ein großer Hund begraben. Denn Angehörige, Freunde, Arbeitgeber oder Behörden.. sie alle verstehen nicht wirklich was da vorgeht, warum man sich so verändert oder warum man abtaucht. Manche/r hat dir vielleicht auch schon nen blöden Spruch gedrückt. Sagte, dass man ja nur faul sei und gefälligst seinen Hintern hochbekommen solle. Man solle sich doch bitte einfach nur mal etwas mehr anstrengen und nicht so "gehen lassen". Oder: "Geh doch mal raus! Das hilft!" Klar! Logo. Man geht vielleicht gerade seit Monaten nur noch raus weil man mal wieder was zu essen braucht und kommt auch sonst  tendenziell ehr nicht klar. Mit gar nichts. Nicht mit dem Briefkasten, noch mit der eigenen Hygiene, anderen Menschen oder überhaupt irgendwas, was mehr wäre, als sein Leben zu ertragen und irgendwie weiter zu leben.. Und dann kommt so ein kluger Spruch. Wie hilfreich. Nicht! "Stell dich nicht so an, XY geht es viel schlechter als dir!" ist auch so ein hilfloser Spruch, der null bringt. Außer, dass der diesen Satz Aussprechende sich nun vielleicht etwas besser fühlt. Weil er damit immerhin überhaupt etwas zu deiner Situation gesagt hat.   

Sowas will man nicht hören, es hilft nicht das zu hören, so ein Spruch wie "Geh doch (einfach) mal raus!" lässt obendrein die eigenen inneren Grenzen noch deutlicher aufleuchten, man fühlt sich wie ein totaler Versager. Was für den anderen so einfach scheint, schafft man eben gerade nicht (mehr). Und schon erst recht nicht einfach so. 

Auch den Freunden gegenüber, bei denen man sich seit Ewigkeiten nicht gemeldet hat und lange mehr keinen "offiziellen Anlass" wie Geburtstage oder ähnliche Ereignisse gewürdigt hat, fühlt man sich schlecht und wie ein Versager. Im sozialen Netz oder im Game tauchen vielleicht schon Fragen auf, warum man sich denn nicht meldet. Man liest das und man könnte sich melden, einfach auftauchen und antworten. Oder?

Aber hey, nein, das kann man vielleicht eben gerade nicht, einfach weil man mit dem überleben an sich beschäftigt ist, in tiefer Depression (seelischem Tiefdruck) steckt. Und so wird man mit der Zeit immer schweigsamer und die Grenze zu den Menschen da draußen wird immer höher und man überlegt, wie man sein Verhalten erklären könnte. Doch, wie erklärt man etwas, was man doch selbst nicht so recht begreift? Und wie spricht man eigentlich über Dinge, für die man sich (aus Angst vor Bewertung/Abwertung und durch Konditionierung) schämt?  

Als es mich vor etlichen Jahren so richtig runter riss, wurde ich mit der Zeit immer stummer. In den ersten Jahren erfand ich noch Erklärungen, warum ich mich nicht gemeldet hatte. Ich sei so beschäftigt gewesen, wenig Zeit halt. Das täte mir leid und ich würde mich bestimmt melden! Oder ich erzählte, das ich ziemlich krank gewesen sei und deshalb nicht schreiben/antworten/anrufen/vorbeikommen konnte. Man sieht oder hört sich sagen/schreiben, man hätte eine fiese/sich festsetzende Erkältung/Grippe/Magen-Darm/Migräne oder was-auch-immer-Krankheit gehabt und konnte deshalb leider nicht.. blablabla.. undsoweiter. Banale Alltagskrankheiten eignen sich immer gut als Erklärung oder Ausrede, weil jeder sie aus Erfahrung kennt und daher versteht, das es einem grad nicht gut geht/ging.

Eine Weile hält man das so durch, immer wieder eine Ausrede zu präsentieren und es ist erstaunlich wie leicht einem diese Ausreden auch immer wieder abgekauft werden. Obwohl dem Umfeld inzwischen eigentlich aufgefallen sein müsste, das irgendwas nicht mit einem stimmt. Doch es gibt meist unterschwellige und individuelle Gründe auf beiden Seiten, das trotzdem nicht offen zu thematisieren und darüber nicht zu kommunizieren.

Auf meiner Seite stand die Scham "versagt" zu haben, nicht (mehr) zu funktionieren, nicht wirklich erklären zu können, warum man nicht (mehr) funktionierte und das Gegenüber wußte vielleicht auch nicht so recht, ob's hätte nachfragen sollen. Hatte vielleicht Angst vor der Antwort auf die Frage was denn los ist. Wußte nicht wie es mit der Antwort umgehen soll, verstand das alles auch irgendwie sowie nicht so wirklich, war selbst müde, hatte (gefühlt oder real) keine Zeit und so weiter. 

So findet dann quasi eine Art taktisches Belauern zwischen dem eigenen Ich und der Umwelt statt. Das große Schweigen und Ignorieren. 

Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Natürlich gibt es auch rühmliche Ausnahmen, die schon früh begriffen haben, das da bei dir mächtig was schief läuft und die versuchen mit dir in Kontakt zu kommen. Über ihre Worte freust du dich, sie wärmen dein Herz. 

Irgendwann kommt man an den Punkt an dem man keine Ausreden mehr hat. Oder/und keine mehr haben will. Weil man es tief innen drin nicht mehr aushält zu lügen, Menschen zu täuschen und in die Irre zu führen. Weil man es nicht mehr erträgt wesentliche Dinge ungesagt zu lassen. Weil man sich und seine Probleme nicht mehr verstecken will. Und es vielleicht auch einfach nicht mehr kann. All die Ausreden und kleinen oder vielleicht sogar größeren Lügen haben Kraft gekostet. Sie aufrecht zu erhalten würde auch weiterhin Kraft kosten. Kraft, die man gefühlt nicht (mehr) hat. Man wird es langsam müde, dieses Karussell. 

In mir wuchs mit der Zeit der Wunsch nach mehr Ehrlichkeit im Umgang mit meinem Umfeld und auch mit mir selbst. Ich war all das satt, all die Lügen und Verschleierungsversuche hatte ich satt. Bis oben hin. Ich wollte auch nie mehr aus Höflichkeit die Antwort geben, das es mir gut geht, wenn das nicht den Tatsachen entsprach. Irgendwann nervt dieser "gordische Knoten" einen einfach und man kann ihn vielleicht nicht mit einem Hieb zerschlagen, wohl aber ihn lösen, entwirren, Faden für Faden.

Also beschloss ich irgendwann die Katze beim Schwanz zu packen, wie man so sagt, und schwor mir aufrichtig und offener zu werden. Mein erstes Outing (vor ca. 8 Jahren) als Depressive war sehr zaghaft und leise. Und es dauerte noch ziemlich lange bis ich überall zugab, das ich schwer depressiv bin. Zuletzt tat ich es offen auf Twitter. Das war erst im letzten Herbst. Bis dahin hatte ich es in der Öffentlichkeit immer noch geheim gehalten. 

Und zu manch anderem was mir in den 52 Jahren passiert ist, kann ich bis heute noch nicht stehen... 

Aber hey, irgendwann ist man an diesem einem Punkt, an dem man... siehe oben. ;-) 

So, genug jetzt. Ausfabuliert. Für heute jedenfalls. ;) Und bevor ich es mir noch wieder anders überlege tippe ich jetzt mal lieber auf veröffentlichen. 

Gute Nacht! ;)


Pat - 27.02.2016, 01:43h

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(minimal) editiert & ergänzt: 27.02.16, 14:48h

Tags: Depression, Gedanken, Rückschau, Reflektion, IchunddieDepression







Samstag, 1. Juli 2017

eisekalt [Gedicht]

"the moon, the stars and the snow"
p/artworkx digital art
by Pat - 06.11.2017


• eisekalt •


eisekalt wars im Wald
als der Tag verschwand
und die Nacht aufzog


eisekalt wars im Wald
und schon bald 
kam der Schnee.


Pat - 28.01.2017, 20:58h

Tags: Gedicht, Reim, Depression, Seelenzustände, Vorahnung

Donnerstag, 15. Juni 2017

Fundstück aus dem Jahr 2010: ruhiger Morgen

ruhiger morgen

Samstag, 7 August 2010 um 09:07
ein ruhiger samstag morgen
die frühe sonne wirft ihre ersten strahlen
und verspricht einen schönen tag

im radio singt eine frau mit angenehmer stimme:
„gib mir sicherheit, gib mir etwas das bleibt .....“

verstohlen bahnt sich eine träne
der schwerkraft gehorchend
ihren weg nach unten

und rinnt und rinnt...
bis sie fällt
und zu Boden stürzt
wie ich

(C) by Pat / 7.8.2010
Tags: Traurigkeit, Depression, Verlustgefühle

Dienstag, 13. Juni 2017

Das Überwinden der Schatten [Gedicht]

  

Das Überwinden der Schatten


Aber wie kann ich Licht geben, wenn in mir doch so viel Dunkelheit steckt? 

“Tu es einfach! Fang einfach damit an.. versuche es.. 
Beginne und erkenne, daß auch in dir Licht ist, daß du teilen kannst.”

flüsterte eine Stimme in ihr. 


“Was du gibst, wird zu dir zurückkommen.
Was du denkst, wird dein Denken bestimmen. 
Und was du fühlst, entsteht aus beidem.” 

flüsterte die Stimme noch, bevor sie verklang. 


Pat - 10.04.2017, 10:02h
Tags: spontan, Seele, Dunkelheit, Licht, Depression. Gedicht

Dienstag, 28. März 2017

Sich nie genug sein [Gedicht]

Sich nie genug sein.

Und doch,
immer:
Wie sehr wollt ich klug sein!

[Ausruf, Strich und Punkt.]

Oder klüger und
gescheiter sein.
Vielleicht auch intellektuell weiter sein?
Gern auch verständiger
oder geistig behendiger.

Nie war ich mir genug,
stets hielt ich andere für klug.

Mich schätzte ich gering
und dabei verfing,
der Blick, den ich auf andere getan..
er fiel zurück auf mich.
Und war. Schwer. Wie Blei.

Pat - 24.03.2017, 23:13h
Tags: Spontan, Reim, Lyrik, Sichtweisen, Depression

Mittwoch, 28. Dezember 2016

Der Wächter [Kurzgeschichte]



Der Wächter 
[Eine Ich-Einheit taucht auf] 

Diese neue Idee, die sie seit kurzem hatte, eine Zeitlang nicht mehr im Ich-Stil zu schreiben, sondern einen Teil der Handlung ins fiktive Geschehen abzugeben, so überlegte sie, war eigentlich ein genialer Pakt mit dem inneren Wächter. Der Kollege, den sie erst kürzlich als bewußte Ich-Einheit in sich wahrgenommen hatte. 

Sie hatte lange überlegt, woran es wohl lag, das sie nie auffallen oder herausragen durfte aus der Masse. Dieses Gefühl in ihr war tief und es beeinflußte nahezu ihre gesamte Kommunikation mit der Umwelt in einer Art Selbstzensur. Manchmal ließ es sie etwas lockerer von der Leine und sie durfte freier handeln. Und manchmal machte der Wächter den Sack zu und verbot sich jede weitere Äußerung zu gefühlt brisanten Themen, zu denen das Ego eigentlich noch eine Menge zu sagen gehabt hätte. 

Meistens wurde das Ego dabei vom Kumpel der Emotionen begleitet, der sein möglichstes tat, um das Ego durchzudrücken, was sie innerlich und oft auch körperlich als anstrengend empfand. Aber dann verweigerte der Wächter diesem Treiben situativ seine Zustimmung und Stille ward, musste werden, während sie sich gleichzeitig unangenehm emotional aufgepusht fühlte. Eine Art innere Zwangsbremsung fand statt. 


"Themawechsel bitte" 

oder

 "vergiß das Thema"

 "Schweige !"

"Fertig aus." 


So in etwa lautete dann immer die knappe innere Anweisung. Nicht wortwörtlich, aber so fühlte sich die Botschaft aus dem Innen an. 

Sie hatte immer nicht recht verstehen können, warum sie derlei "Anweisungen" bekam. 

Sie wußte und sie verstand nicht, was oder wer da "sprach". Deshalb konnte sie das "gesagte" nicht für sich einordnen und damit eben leider auch nicht verstehen. Also machte sie sich oft Vorwürfe deswegen und Worte wie "feige" und "arschlos" kamen ihr in den Sinn, weil sie sich aus ihrer alten Sicht heraus gefühlt "unnötig" um bestimmte Situationen herumdrückte und die Konfrontation mied. 

Dabei war das alles Unsinn. Sie hatte gute Gründe konfrontative Momente zu meiden. Es war ihr innerer Wächter, der sie ausbremste. Der Teil in ihr, der sie vor Unvorsichtigkeiten und Ressourcen übersteigenden "Nicht-Klugheiten" warnte und diese zu verhindern suchte, indem er versuchte, sie von etwas abzuhalten, was er als riskant einstufte. 

Dieser Wächter war eine ihrer Ich-Einheiten und damit ein Teil von ihr. 

Der Wächter handelte immer in der Summe ihrer bisher gemachten Erfahrungen bei Handlungen im und mit dem Außen. 

Er tat das, um sie zu schützen. 

Er zeigte ihr ihre Grenzen auf, vermutlich auch, damit sie sich nicht länger in inhaltsleere Machtkämpfe um alte Positionen verwickelte.

Außerdem wollte er sie damit vor schlechten Emotionen und der Wiederholung von alten Mustern schützen.

Er, der innere Wächter, wollte sie vor Schaden bewahren. Und er tat gut daran, dachte sie. 


Er war auf ihrer Seite, er war eine wertvolle Ressource und er handelte immer auf der Grundlage aller bisher in ihrem Leben gemachten Erfahrungen, hielt sie sich erneut den Kern seiner Bestimmung vor Augen, um es nur ja nicht wieder zu vergessen. 

Denn sowas passierte ihr manchmal mit klugen Gedanken. Eben noch da, waren sie Sekunden später schon wie von Zauberhand verschwunden. Und dann ärgerte sie sich. Also prägte sie sich diese Sätze gut ein, denn sie wollte nichts davon im Treiben der Gedanken verlieren. 

Ja, diese Sätze erklärten ihr eine ganze Menge Dinge. Sie wußte nun, warum sie oft [noch] nicht über etwas sprechen durfte und sie verstand auch, warum der Wächter eine bestimmte Art der Sprache in der Aufarbeitung ihrer Lebenserfahrungen forderte. Es ging dabei um Achtsamkeit, Würde und Respekt. Sich selbst und anderen gegenüber. Also forderte er die Achtsamkeit stellvertretend für sie ein und das war natürlich wichtig, auch in dieser Sache stimmte sie ihm voll zu.  

Er war ziemlich weise, dieser Wächter. Er "wußte" oder ahnte von Problemen und Schwierigkeiten, die ihr Ego oft [noch] gar nicht wahrgenommen und somit auch noch nicht als mögliches Problem erkannt hatte. 

Das war es auch, was daran so schwierig war. Das war es, was es ihr schwierig machte, ihn als Wächter und als einen schützenden Freund zu erkennen und zu verstehen. 

Denn sie wußte nicht, das er es war, sie verstand seine wichtige Aufgabe noch nicht und sie so wußte sie nicht, 
warum er sie zum Schweigen brachte oder sie von Handlungen Abstand nehmen ließ. Und so kam es wieder und wieder dazu, dass sie, durch alte Konditionierung und aus der ihr eigenen Unsicherheit heraus der Bewertungs- und Beurteilungsspirale verfiel, und sich selbst gegenüber immer wieder in alten Mustern von Abwertung und Ausgrenzung handelte.

Denn das war, war sie durch ihrer Adoptivmutter gelernt hatte, gar bitter hatte lernen müssen! 

Und so folgte sie diesem Muster immer wieder (gelernt ist halt gelernt) wie einem roten Faden als Leitmotiv und fand sich auch im Außen oft darin bestätigt, sich selbst schlecht oder klein zu machen und sich damit weiterhin klein zu halten und so war alles seinen schrecklichen Weg gegangen, all die vielen Jahre und Jahrzehnte.

Sie war getaumelt, von einer Traumatisierung in die nächste und dann kam zwischendrin immer wieder eine Phase des scheinbaren Vergessens und der Kompensation. Eine wohl notwendige Atempause für ihr angeschlagenes und erschöpftes Ich. Ein Break der ihr das Luft holen von all den schlimmen Erlebnissen ermöglichte, in der Zeit zwischen den traumatischen Erfahrungen. Ein ewig langer Kreislauf.

Den Wächter hatte sie den überwiegenden Teil ihres Lebens nicht bewußt vernommen. Ich glaube, das sie damals nichts von ihm wußte, woher auch. Allenfalls ahnte sie, das da etwas war.

Sie war noch sehr jung und sie hörte ihn vielleicht irgendwie, in Form einer Unlust, eines Unwillens, dies oder jenes lieber nicht zu tun, dieses oder jenes lieber zu vermeiden, doch sie verstand den Sinn hinter denen diffus empfundenen Mahnungen und der inneren Haltung nicht. Und so war sie außerstande diese Ich-Einheit als Ich-Einheit und als ihren Wächter erkennen. Zu dieser Zeit wußte sie ja nicht einmal, dass es sowas wie Ich-Einheiten gab, dachte sie, gleichzeitig die Stirn runzelnd über soviel Unwissen und schmunzelnd über ihre damalige Naivität. 

Trotz alledem tat der Wächter getarnt als Teil der Intuition sein bestes, positiv auf sie einzuwirken, in all den mal sehr schlimmen und dann wieder auch sehr schönen Phasen ihres Lebens. 
  
Vor kurzem führte sie ein Gespräch mit einer Überlebenden, einem Menschen, mit dem sie augenscheinlich einige Erfahrungen teilte. Und sie berichtete ihrer Gesprächspartnerin von dieser Stimme im Inneren, die sie seit einiger Zeit diffus wahrnahm und das sie sich wundere, warum sie ihr immer wieder dazu riete nicht aus der Masse hervorzustechen, warum sie sie warnte, nicht aus der Masse herauszuragen und warum sie ihr auftrug, ganz allgemein nach Möglichkeit nicht aufzufallen. Es ging dabei irgendwie um ihre Sichtbarkeit, soviel war ihr inzwischen klar geworden, der Rest lag im dunkeln.

Im Gespräch wurde ihr geraten über diese innere Haltung oder "Stimme" nachzudenken und vielleicht später darüber zu schreiben, etwas was sie hier und heute mit Freuden tat. 

Und nach einer Nacht des ausgiebigen Nachdenkens kam sie schließlich auf die [so naheliegende] Lösung und erkannte den Wächter als Wächter und als eine ihrer Ich-Einheiten. Wahrscheinlich, weil die Zeit jetzt wohl reif für diese Erkenntnis war, dachte sie. 

Sie begriff und verstand den Wächter zunehmend als wichtige innere Ressource. Eine, die schon immer in ihr geschlummert hatte und die sie [zumindestens mental und geistig] lange Zeit oder den überwiegenden Teil ihres Lebens nicht als eine solche verstanden und begriffen hatte. 

Und DAS hatte sich nun gerade geändert. Vor etwa einem Monat fiel es ihr wie "Schuppen von den Augen", dachte sie amüsiert über den metaphorischen Begriff. 

Warum fiel einem sowas nicht wie "Schuppen aus den Haaren" oder wie "Schuppen vom Kopf", dachte sie in einer leicht rebellischen Anwandlung, die sie spontan lachen ließ. Das hätte irgendwie logischer geklungen. Woher das wohl stammte, dieses geflügelte Wort? 

Es war ja auch egal, versuchte sie ihren Geist wieder einzufangen, woher die Schuppen nun fielen, es zählte doch nur, DAS sie fielen, dachte sie schmunzelnd. 

Denn Antworten zu bekommen und gewisse Dinge in Bezug auf sich selbst und ihre Geschichte zu verstehen, das war in der letzten Zeit immer wichtiger für sie geworden.

Und die Frage nach dem Sinn und dem Grund dieser "inneren Anweisungen" durch den Wächter war nun beantwortet. Das war super! fand sie.

Nachdem sie Vergleiche, Bewertungen und Urteile im Umgang mit sich [und der Außenwelt] unterließ oder zumindest drastisch reduziert hatte [gleich neben Erwartungen und Erwartungshaltungen an sich selbst und ihre Umwelt] war sie innerlich frei geworden, die Stimme ihres inneren Wächters klar zu hören, sie zu erkennen und zu verstehen. Das hatte sie einen Riesenschritt weiter gebracht in der persönlichen Entwicklung. 

Man konnte auch mit den inneren Ich-Einheiten kommunizieren, indem man sie einfach direkt ansprach, hatte sie herausgefunden. Und sie bekam auf diese innere Ansprache in der Regel auch Reaktionen, wenn sie versuchte mit dieser Ich-Einheit zu kommunizieren. Manchmal in Form "inneren Wissens" und manchmal in Form körperlicher Symptome. 

Hatte der Wächter beispielsweise Stress mit dem, was sich das Ego wagte, kam es bei ihr zu spontanen Anfällen von Tinnitus oder Bluthochdruck oder der Puls stieg rasch an und das Herz raste, resümierte sie für sich die Erfahrungen der letzten Wochen.  

In einem solchen Moment ging sie nun seit kurzem direkt in den Kontakt mit ihrem Wächter und damit ins innere Gespräch mit ihm. Dabei beruhigte sie ihn, indem sie zum Beispiel verschiedene Handlungsstrategien vor ihm ausbreitete. 

Sie zählte ihm im Geiste denkbare Alternativen und Optionen auf, für den Fall, dass ihr Ego dem Wächter ein wenig "zu mutig" geworden war. 

Die Reaktion kam meist schnell. Er verstand sie fast immer auf Anhieb.

Sie hatte überlegt gehandelt, sie war bewußt ein Wagnis eingegangen, im Wissen um vorhandene Handlungsoptionen, falls sich ihr mutiger Vorstoß als ein Fehlschlag herausstellte. Er war beruhigt. Sie war im Kontext und sie war zentriert. Seiner Ansicht nach waren das wohl gute Voraussetzungen, um neue Erfahrungen zu machen und sich aus alten Mustern und aktiv von alten Erinnerungen zu befreien. 

Und so wußte sie von nun an auch, das sie mit ihrem Wächter verhandeln konnte, so das er nicht aus Selbstschutz und Sorge vor Überforderung  wieder Depression, Ängste oder einen Rückzug über sie stürzen lassen würde. 

Und so waren all diese Gedanken und Erkenntnisse wahrlich wegweisend und kraftgebend. Alles war gut wie es war, dachte sie dankbar.

Sie hatte sich gerade erst eine Liste geschrieben und darauf grob die zu durchlaufenden Phasen der Entwicklung aufgelistet, um sich so einen Überblick über ihre Situation zu erarbeiten.



Sie befand sich nach ihrer Einschätzung inzwischen im Bereich zwischen Akzeptanz und Frieden. Manchmal steckte sie auch nochmal in der Trauer fest, aber ihre Entwicklung bewegte sich klar in Richtung Akzeptanz und Verstehen, und damit hin zum Frieden. Zu ihrem Frieden. Sie mochte diese Betonung, die akzentuiert herausarbeitete, das es IHR Friede war. 

Erheblich zu diesem Frieden beigetragen hatte die Entdeckung des inneren Wächters. 

"Das Verstehen für seine Funktion als Wächter und die Erkenntnis, das alle seine getroffenen Entscheidungen oder "inneren Anweisungen" auf der Summe aller ihrer bisher gemachten Erfahrungen ruhten.

Diese Entdeckung war die Entdeckung einer mächtigen Ressource. Es war eine Kraft die schon immer in ihr gewesen war und die sie immer schon zu schützen versuchte, ihr gesamtes Leben lang",

fasste sie ihre Erkenntnisse erneut zusammen.  

Im Alter von 53 Jahren durfte sie durchaus von einer langen menschlichen Zeitspanne sprechen, von mehr als einem halben Jahrhundert gemachter Erfahrungen. 

Die Tiefe dieser Entdeckung machte sie gerade ein wenig schwindelig, aber sie reihte sich auch nahtlos ein in eine ganze Reihe von Erkenntnissen in den letzten zwei Jahren, allesamt sehr bedeutsam für sie. 

Lang gesuchte Antworten auf lang gehegte Fragen waren das. Es ging um Muster und Monster, um Strukturen, um Verbindungen, um Kontext, um Verstehen und es ging um den Mut sich all dem "direct in your face", vordringend zum Kern, zu stellen. 

Sie fühlte, nein, sie WUßTE, das war der Weg. Das war IHR Weg, hinaus aus dem Schlamassel und endlich weg von der Vergangenheit hin zu einem reellen Hier und Jetzt. 

Darüber, das wußte sie instinktiv ebenso, öffnete sich eine Türe in die Zukunft. In ihre Zukunft auf dieser "verrückten Welt", die sich mit der Zeit als doch nicht ganz so verrückt und unlogisch zeigte, wenn.. ja, wenn man genau hinsah und die vermeintlich kleinen Dinge des Lebens wiederentdeckte. 

So war ihr versöhnlich zumute, ihr Inneres war friedlich und auf Verstehen gestimmt. Doch auf die "Quatschköppe dieser Welt" wollte sie trotzdem auch weiterhin einen achtsamen Blick haben, das nahm sie sich fest vor. 

Die kürzlich getroffene Entscheidung ab nun erstmal in einer experimentellen Phase in Form von Kurzgeschichten aus ihrem Leben zu erzählen, begeisterte sie. Es schien ihr eine ganze Fülle an Möglichkeiten zu bereiten über viele kleine Begebenheiten aus ihrem Leben zu erzählen, ohne sich dabei komplett nackich zu machen. Jedenfalls fühlte es sich für sie so an, etwaige Leserinnen oder Leser ihrer Kurzgeschichten mochten das vermutlich oder vielleicht anders wahrnehmen.  

Letztlich gab es in etwa so viele Wahrnehmungen [und damit persönlich empfundene Wahrheiten], wie es Menschen auf der Erde gab und das waren derzeit  irgendwas um die 8 Milliarden Menschen. Und wenn man da noch drauf rechnete, wieviele Wahrnehmungen ein einzelner Mensch vielleicht hatte oder haben konnte, war die Summe unterschiedlicher Wahrnehmungen und Wahrheiten eine exorbitant hohe Zahl, beschloß sie den Gedanken. 

Ihre Wahrnehmung war eine von vielen im Teich des Lebens und das war so in Ordnung für sie. 

In der Küche roch es verführerisch nach Kuchen und frischem Tee und sie beschloß, das - Ende - ins Handy zu tippen, um das Gerät danach beiseite zu legen. Es war alles gesagt, dachte sie zufrieden. 

- Ende -


Pat - 15.11.2016, 17:22h Part I
          21.11.2016, 16:09h Part II
          28.12.2016 erstveröffentlicht
          31.12.2016 überarbeitet
          12.02.2017 überarbeitet
          14.06.2017 überarbeitet 
          15.06.2017 last edit

Tags: Wächter, Überlebende, Schutz, Erkenntnis, Gedankenwelt, Depression, Adoptivmutter, Muster, Kurzgeschichte, Geschichte, Sie

Foto: Pixabay  

Freitag, 25. November 2016

Und wieder mal: Veränderung [Kurzgeschichte]

[für Originalfoto hier klicken]



Und wieder mal: Veränderung 


[Veränderung und das erkennen des Geflechtes, auf der Reise aus der Dunkelheit der Depression ins Licht] 



Gellend zuckten die Schreie der Möwen über den pastellfarben blauen Novemberhimmel. Wolkenbänder zogen kaum merklich treibend in Bahnen dahin, ihrer Bestimmung entgegen. 

"Wo auch immer diese zu finden war..", dachte sie seufzend. 

Veränderung kommt nicht in einem großen Schritt, sondern in tausend kleinen Schritten, verteilt über die Zeit,

überlegte sie. 

Und irgendwann stand man dann da und blickte zurück und sah all die kleinen Veränderungen Step by Step, wie sie sich in einem großen Ganzen zusammenfügten. Und im Nachhinein ergab so vieles einen Sinn, aus der Distanz erklärten sich die vielen kleinen Begebenheiten und Entscheidungen. 

Die Veränderungen ballten sich geradezu zusammen, zu einem Ball der vielen kleinen Schritte, Erlebnisse und Lektionen [genauer: Informationen] des Lebens.

Und so hielt sie dann im Endeffekt jetzt, hier und heute eine Art Arbeitsversion dieses Balles in den seelischen oder geistigen Händen. Er war noch nicht vollkommen rund, dieser Ball, aber man konnte ihm seine Schönheit und sein verdichtetes Wissen schon ansehen. 

Sie hatte nicht gewußt, noch hatte sie geahnt, das diese Schönheit in ihr stecken könnte. Es war etwas Vollkommenes. Es war Wissen in seiner reinsten Form und es war eingebettet in bedingungslose Liebe.

Zu sich selbst und zum großen Ganzen. Sie wußte es nun wieder, sie hatte es vor einigen Monaten erkannt, sie hatte "es" wiedergefunden. Sie war seit diesem Tag wieder bewußt Teil des Geflechtes, das aus reiner Energie und unzähligen Lebensformen und Lebensarten bestand. Und alle waren sie miteinander im Geflecht verbunden.

Ewig in ihrer Unendlichkeit und ihrem Sein und stetig wechselnd in den verschiedenen Aggregatzuständen ihrer Existenz, wie sie es für sich nannte. 

Diese Art Schönheit lag in jedem einzelnen Wesen verborgen, sie ruhte dort, bis es bereit war, diese Verbindung [wieder] zu entdecken und bis man bereit war, sie [erneut] zu empfangen, in einem Akt von sich bewußt werden.

Es war eine Art Geschenk, dieses Bewußtsein. Und es verband alle bewußten Wesen miteinander, alles Sein. Es wurde einem zur Geburt in diese Existenz mitgegeben und dann, ja, was passierte dann eigentlich, überlegte sie.

Irgendwie schien es dann mit der Zeit zu verblassen und langsam in den Hintergrund des Daseins zu rutschen, als ob es in eine Nebelzone des Unterbewußten zurückgestoßen würde, dachte sie. 

Vielleicht wurde es auch zurück ins Grau des diffusen Inneren gesogen. Hm, sie war nicht sicher. 

Wurde es gestoßen oder wurde es gesogen?

Letztlich aber war das nicht wichtig. Es war eine unnötige Bewertung des Geschehens, eines Geschehens, das man unmöglich komplett bewußt erlebt haben konnte und deshalb spielte es keine Rolle, ob dieses Bewußtsein nun gesogen oder gestoßen würde. Das waren "zuviele [unnötige] Details", die sich von ihr sowieso nicht "mit Brief und Siegel" belegen lassen würden, dachte sie zerstreut. 

Aber "es", dieses Bewußtsein um die Verbindung zum großen Ganzen, das kam einem mit der Zeit abhanden, ja, das traf zu, fasste sie für sich zusammen.

Als kleines Kind wußte man es noch, da war die Welt noch voller Zauber und Magie. In jungen Jahren sah man sie noch, die Fabelwesen unterm Bett oder im Schrank in der Ecke. Manifestierte Ängste und eine weite Vorstellungskraft, die eine magische Verbindung ins Geflecht hatte.

Oder man hatte diesen "unsichtbaren Kumpel" zum spielen, der für eine gewisse Phase da war, der einen begleitete und der einen so gut kannte. Und wie, als könnten sie ihn nicht sehen, sahen sie ihn auch wirklich nicht. Aber man selbst wußte genau, das er existierte, man konnte ihn sehen und mit ihm sprechen und mit ihm spielen. Er war eine Art Verbindungsglied zum Geflecht. 

Ähnlich verhielt es sich mit dem Kontakt zu Tieren. Wenn die Verbindung aktiv war, fand der Kontakt auf einer intuitiven Ebene statt, erfüllt von einer Leichtigkeit und einer gewissen Unkompliziertheit im Umgang mit dem Tier. 

Manche nannten diese Menschen, die diesen intuitiven Draht zu Tieren hatten, in Ermangelung umfassenden Verstehens "Tierflüsterer". 

Obwohl der Mensch nur seine menschliche Sprache und ein überschaubares Arsenal an Lauten hatte und Tiere die menschliche Sprache doch eigentlich nicht verstehen konnten, wie allgemein angenommen wurde, gab es eine Verständigung, auf einer anderen Ebene. 

Es war eine tiefe Verbindung ins Tierreich, die sich manchmal ein Leben lang erhielt, wie als ein stiller Beweis für die Existenz einer übergeordneten und direkten Verbindung von Wesen untereinander, die man als junger Mensch noch quasi direkt erleben durfte. 

Und dann irgendwann, irgendwie endete es. Sie war nicht sicher warum es endete. Vielleicht endete es, weil ihre Wahrnehmung sich änderte, vielfach korrigiert und konditioniert von den anderen und besonders von den Erwachsenen. 

Und was die sagten, war klar: Dinge, die man nicht sieht, die gibt es nicht.

Obwohl ihnen inzwischen mithilfe der Wissenschaften schon unzählige Male das Gegenteil bewiesen worden war, war dies immer noch die grundsätzliche Einstellung der meisten Erwachsenen, sagte ihr die gemachte Erfahrung.

Das man zum Beispiel elektrischen Strom oder Gas nicht sehen konnte und beide trotzdem in der ihnen eigenen Struktur existierten, ja, das war halt etwas anderes, hieß es dann, wenn sie auf derlei Ungereimtheiten in ihrer Haltung hinwies. 

Das sind nur die Hirngespinste deiner "überreizten Nerven", das wurde ihr dann oft genug suggeriert. Und doch wußte sie es besser. Es hatte diese Verbindung des großen Ganzen zu ihrem tiefsten Inneren gegeben und sie war real und echt gewesen. 

Aber über die Zeit verblasste diese Verbindung zum Geflecht zu einer Erinnerung und diese wurde mit den Jahren und Jahrzehnten immer unzugänglicher und verschwamm schließlich mit der Zeit zu einer bloßen Frage, ob es diese Verbindung denn je tatsächlich gegeben habe. 

Es gab eine Zeit in ihrem Leben, in der sie sich selbst nicht mehr sicher war und sich sagte, das sie all das wahrscheinlich nur geträumt hatte. 

Knisternd und knackend fiel nun ein eisiger Schneeregen auf die kalten Blätter, die unter der Linde am Boden lagen, während sie sich auf dem Balkon ein kleine Auszeit vom Drinnen gönnte. 

Ein fabelhaftes Geräusch war das! Es entzückte sie in seiner Leichtigkeit und mit dem Geräusch des raschelnden Knacken, das anscheinend die vielfach landenden Eiskristalle auf dem gefrorenen Blätteruntergrund verursachten. 

Sie kam gerne hier hinaus, neuerdings wieder.

Schaudernd erinnerte sie sich an früher, wie es gewesen war, in ihrer dunklen Phase der allumfassenden Depression, in der sie sich vor dem Leben "da Draussen" versteckt hatte und kaum das Sonnenlicht sah.

Eine lange Phase des Getrenntseins, eine Zeit der Abkehr vom Leben und den Lebenden, ein Rückzug vom Draussen. 

Ein Rückzug, der notwendig gewesen war, verursacht durch den inneren Schmerz und durch die innere Leere. 

Verursacht auch von dem scheinbar endlosen Gefühl einer lähmenden Schwere, die sie damals ergriffen hatte und die begleitet wurde von einer unfassbaren Müdigkeit, die die ehedem mühsam struktrurierte Zeit aufweichte, zerbröselte und zu bedeutungslosem Staub zermahlte. 

Sie hatte nicht damit gerechnet, das sie diese Jahre heil überstehen würde. Sie konnte auch nicht damit rechnen, das sie diese Zeit der Kämpfe mit mächtigen inneren Dämonen überleben würde.

Damals war sie über jeden einzelnen Tag "froh", den sie überlebte. Falls sie überhaupt gerade in der Lage war, einzelne Tage im Empfinden klar voneinander zu trennen und zu unterscheiden und sowas wie Freude zu empfinden. Oft war sie nämlich auch garnicht froh zu leben, weil das bedeutete all das noch länger zu er-tragen.  

Manchmal waren es einfach nur zusammengeklumpte Ballen von Zeit, von Tagen, von Wochen oder gar von Monaten, die sich erst durch den Wechsel in eine andere Phase voneinander unterscheiden ließen. Und selbst diese Abstufung zu machen, fiel oft genug schwer oder war gefühlt nicht leistbar.

Oft war sie einfach froh oder sie wunderte sich auch manchmal, das sie es überhaupt schaffte, zu überleben. Denn in manchen Phasen kostete allein das überleben sie eine unfassbar große Menge an Energie und es schien unfassbar schwer zu sein, diesen Zustand auch nur einen Tag länger zu ertragen. 

Das kostete Energie, die sie gefühlt längst nicht mehr hatte und sie ächzte oft unter der Vorstellung, bald einfach zusammenzuklappen, weil sie leergebrannt war.

Schwach, am Ende ihrer Kräfte, am Ende ihrer Zuversicht und am Ende ihres Vertrauens in das Leben und in den vermeintlichen Sinn des Lebens, der damals nur ein inhaltsloser leerer Begriff für sie war. 

Inzwischen war es ihr zu kalt geworden, draussen auf dem Balkon. Die Luft war passend zur Jahreszeit wunderbar frisch und vorwinterlich klar und angehm zu atmen, aber die frierigen Finger waren schon etwas hinderlich beim tippen, dachte sie amüsiert. 

Nun gut, warum nicht, es war inzwischen sowieso dunkel geworden um sie herum, nur der leuchtende Bildschirm ihres Handies leuchtete weißlich in der Dunkelheit und beleuchtete dabei den unteren Teils ihres Gesichtes, während sie emsig in die Tasten haute, um ihre Gedanken niederzuschreiben. Das sah bestimmt creepy aus, dachte sie lachend. 

Es war an der Zeit hineinzugehen, ins Warme und zurück auf die große, zwar alte, aber auch gemütliche Ledercouch im Wohnzimmer. 

Sie war eine von denen, die man aufgegeben hatte, setzte sie dort ihre zuvor begonnenen Überlegungen fort. Man hatte sie irgendwann aufgegeben und zurückgelassen, dort in ihrer kleinen Nische, irgendwo am Rand der Gesellschaft, versteckt im Nirvana der vielzähligen anderen, die wie sie nicht länger funktionierten.

Ihr war das recht gewesen, oft sogar auch lieber gewesen, denn man ließ sie meistens in Ruhe. Man ließ ihr die Ruhe in Ruhe zu sterben, dachte sie. 

Viele hatten sie aufgegeben, sie rechneten längst nicht mehr damit, das ihr Leben wieder in "normale Bahnen" zurückkehren würde oder das sie es überhaupt überleben würde, dieses Leben. 

Immer wieder von schweren Erkrankungen gezeichnet, körperlich wie psychisch, und durchgerüttelt und durchgeschüttelt von den Unwägbarkeiten ihres Lebens, war das über eine lange Zeit eine durchaus plausible Einschätzung ihrer Lage gewesen, die sie durchaus, und zwar in der überwiegenden Zeit, teilte. Ihre Lage war verdammt mies damals. 

Und dennoch hatte sie irgendwie trotzdem nie komplett aufgegeben und immer wieder gekämpft und sich immer wieder gerieben, an offiziellen Stellen wie zum Beispiel Behörden oder Gerichten oder dem Energieversorger, dem Vermieter, der Bank und an ihrem Leben und an sich selbst und an der Vergangenheit, denn sie wollte und konnte nie ganz aufgeben.

In ihren schlimmsten Zeiten hielt sie sich an etwas unverrückbarem fest, an dem Gedanken, das all das einen Sinn haben mußte! [Und sollte!]
Und sie dachte an ihre Kinder, daran das sie gebraucht wurde. 

Sie spürte, das dieses Dunkel und die Qualen, verursacht durch die Vielfachtraumatisierungen und die unzähligen Gewalterfahrungen nicht alles waren, da war noch mehr. Irgendwie wußte sie das. Sie hatte scheinbar doch noch den Hauch einer Ahnung, ihre Intuition war wohl doch nicht tot und sie spürte das da noch eine Kraft war, ein Rest Mü an Kraft, scheinbar reserviert für besondere Notsituationen.

Und so, sann sie nach, hatte es  irgendwann klammheimlich angefangen, sich in ihr zu verändern. Es war als ob sie zunehmend eine Art Bewußtsein für dieses Hamsterrad und seine Aufarbeitung entwickeln würde.

Das ging mit ihrer Entscheidung zusammen, einen neuen Blog zu starten. Sich noch einmal hinzusetzen und ihr Leben via Blog aufzuschreiben und dadurch auch erneut aufzuarbeiten. Und ab da ging es eigentlich nur noch Schritt um Schritt weiter. Manchmal sogar im Laufschritt, so das sie Mühe hatte, ihrer eigenen Entwicklung hinterher zu kommen, dachte sie, sich erinnernd. 

Ja, manchmal war das echt fett! Phasen, in denen neue Erkenntnisse geradezu über sie herfielen, so viele an der Zahl, so viele Einsichten, wo es früher so lange keine Antworten gegeben hatte und nun schienen sie geradezu "vom Himmel zu regnen", dachte sie, amüsiert durch den metaphorischen Begriff, der ihr spontan in den Sinn kam. 

In der einen Phase war sie so gesättigt gewesen mit Input, das sie förmlich den Eindruck hatte überladen zu werden, spräche sie auch nur noch ein einziges Wort.

Gespräche waren ihr zu dieser Zeit ehr ein Graus. Sie wollte nicht sprechen, sie hatte nichts zu sagen, nichts mitzuteilen, sie war bis zum Bersten voll mit Information und Erleben und das wollte erst einmal zu einem intuitiven Wissen verarbeitet und verwoben werden. Es wollte Teil dieses "Balles" werden. In der Stille und in der Ruhe, im Zurückgezogensein, abseits der überaus lebendigen, schnelllebigen und reizintensiven Welt. 

Und zwischen diesen beiden Phasen des Sprechens und des Schweigens, waren noch die Zustände des Chaos, des Nichtlängerwissens, der Neuordnung und der Veränderung der eigenen Sprache hin zu einem bewußten und achtsamen Kontakt mit sich selbst und mit ihrer Umwelt. 

Oho, es war einiges los in dieser Zeit, dachte sie schmunzelnd. Begonnen, wieder neu begonnen, hatte es mit diesem Blog im August letzten Jahres. 

Und nun, etwas mehr als ein Jahr später, war etwas wunderbares eingetreten, mit dem sie schon nicht mehr gerechnet hatte.

Das sie es schaffen würde, endlich ihren Frieden zu machen und abzuschließen mit der Vergangenheit. Etwas anders, als immer gedacht, denn es würde keine dramatische Auf- oder Abrechnung mehr zwischen den Beteiligten geben, aber es würde nun bald enden. 

Sie war im Begriff zurück von der Vergangenheit in das Hier und in das Heute zu wechseln. Denn jetzt, das konnte sie zweifelsfrei sagen, hatte sie wieder ein Heute! 

Vielleicht lag der Schlüssel auch darin, Veränderung annehmen zu können, bereit für sie zu sein oder sich bewußt für Veränderung zu entscheiden, sie aus dem tiefsten Inneren zu wollen und auch wollen zu können, in dem man berücksichtigte ob man über die inneren wie auch äußerlichen Ressourcen verfügte, die man für die Veränderung brauchte, überlegte sie.



Veränderung bedingte Entwicklung und Entwicklung war ein steter Prozess, der jedoch oft nicht im Vordergrund ablief, sondern sehr viel tiefschichtiger, verborgen im Inneren. Manchmal war die Veränderung direkt spürbar. So, wie heute wieder. Sie liebte diese Tage, wenn Dinge sich offensichtlich fügten und zusammenfanden. 

Ich verändere mich, also bin ich, dachte sie grinsend und packte das Handy weg. Es war Zeit, sich auszuruhen. Und morgen war ein neuer Tag. 


- Ende -


Pat - 15.11.2016
          12:14h
          23.11.2016 edit 


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Diese Kurzgeschichte gehört zur Text-Reihe:




Zu diesem Text:

Dieser Text wurde in Form einer experimentellen Kurzgeschichte um eine Art Alter Ego von mir geschrieben. Ihr Name ist mir noch nicht bekannt, daher tritt sie schlicht als "sie" in Erscheinung.

Der Text basiert überwiegend auf erlebten und zum Teil auf fiktiven Inhalten und Angaben, um mir dergestalt ein empfundenes Mehr an schriftstellerischen Freiheiten zu ermöglichen. 

Der Text gehört dennoch als eine Art Update zu diesem Text:

"Die Veränderung kommt" vom 21.08.2015