Kennen sie auch diese Menschen, denen man mit dem, was man tut, oder nicht mehr tut, scheinbar nie gut genug zu sein scheint? Als ob aus ihrer Sicht etwas über einem läge, eine Art von Fluch oder ein Makel. Und wahrscheinlich ist es auch genau so, dachte Sie, man reichte ihnen nie aus.
Egal, was man unternimmt, es ist diesen Menschen nie genug, dachte Sie. Vielleicht würde an dieser Stelle auch ein "nicht" anstatt des "nie" reichen, aber nein, gefühlt war es immer ein klares "nie", das von diesen Menschen in der Kommunikation bei ihr ankam.
"Ich schreibe jetzt.", sagte Sie zu ihrem Gegenüber. - "Aha, du schreibst..." Ein ungläubiger Blick schien Sie zu treffen . - "Was schreibst du denn so?", fragte ihr Gegenüber, scheinbar lauernd.
"Ich schreibe über mein Leben, Gedichte und Geschichten", antwortete Sie, während Sie seine Mimik aufmerksam studierte.
Schlagartig schien sein Interesse an ihren Worten nachzulassen, resümierte Sie für sich die Veränderungen der Microausdrücke in seinem Gesicht.
Ach, "so Eine" bist du nun also.. schien er zu denken.
Okay, warte, ich möchte dir etwas zeigen.. dachte Sie im Stillen und sagte dann laut zu ihm: "Ich lese dir etwas vor, wenn du möchtest...?"
Ihr Satz endete mit einem hörbaren Fragezeichen.
Der Blick, dem Sie ihrem Gegenüber dabei zuwarf, hatte gefühlt etwas bittendes und das gefiel ihr nicht. Denn hinter ihrem Blick an ihn steckte die Hoffnung, das ihr Gegenüber sich auf diese Offerte, Sie wieder näher kennenzulernen, einlassen möge. Um dabei ein wenig über ihre Entwicklung in den letzten Jahren zu erfahren. Irgendwie wünschte Sie sich dieses Interesse von ihm.
Immerhin hatte er sich viele Jahre einfach komplett ausgeklinkt aus ihrem Leben und das könnte er jetzt eigentlich wieder ein bischen "gut machen", dachte Sie mit zusammengekniffenden Lippen, spontan ein wenig beleidigt durch die Erinnerung.
Während Sie sich gleichzeitig über ihren wahrscheinlich bittenden und hoffenden Blick an ihn ärgerte.
"Pokerface Baby!"
"Lass ihn nicht so tief blicken, Baby!"
forderte eine Stimme aus ihrem Inneren mit Nachdruck.
Haha, "gut machen", überhaupt, tsss, überlegte spontan ein anderer Teil von ihr. Das klang lustig. Nicht!
Als ob es sich überhaupt jemals wieder gut machen ließe, das er sich nie wirklich um Sie und ihrer beider Sohn geschert hatte. Weil immer etwas anderes "wichtiger war" und halt auch "weil". Weil seine Art zu leben ihm vorging und weil in dieser Art zu leben halt kein Platz für Sie war.
Weil isso, fertig aus. Nein, Sie hatte gerade überhaupt keine Lust diese Art Gefühle zu vertiefen, also schickte Sie die Gedanken in die Wüste und konzentrierte sich wieder auf ihren seltenen Besucher.
Das letzte Mal hatte Sie ihn vor einem Jahr zu Gesicht bekommen und davor hatte Sie unfassbare acht Jahre weder etwas von ihm gesehen, noch gehört. [Pah! Sie war wirklich verärgert.]
Sie mochte ihm keine Texte über das Dunkle zumuten, weil Sie Angst hatte, das er ihr dann mit der Aufmerksamkeit absprang. Und das würde Sie schade finden, wenn Sie ehrlich war, denn er sollte doch merken dürfen und können, das Sie sich verändert hatte und am Leben gewachsen war.
Sie entschied sich, ihm zwei Texte zur Auswahl vorzuschlagen und erläuterte ihm in beschreibenden Worten kurz Inhalt und Message der Texte, damit er eine Entscheidungsgrundlage erhielt.
Gleichzeitig ärgerte Sie sich darüber, das es ihr so sehr wichtig zu sein schien, das er ihre innere Veränderung nicht nur bemerkte, sondern zudem anerkannte, das es diese positive Entwicklung bei ihr gab!
"Warum zum Teufel, ist dir das nur so wichtig, dachte Sie mit zerfasernden Nerven", weil Sie sich durch die ungewohnte Situation und die darin enthaltenen Spannungsfelder gestresst fühlte.
Parallel dazu überlegte Sie auf einer anderen Ebene, das Sie ihm ruhig auch etwas von den älteren und den von ihr sogenannten "dunklen Texten" hätte vorlesen können.
Denn vielleicht war ihre Wahrnehmung, das er dann abspränge, schlichterdings auch nur eine voraussetzende Annahme und möglicherweise war es sogar eine unzutreffende Annahme. Vergallopierte Sie sich etwa gerade?
Puh, allmählich geriet Sie in enervierende Gedankenräder und es wurde höchste Eisenbahn sich daraus wieder zu befreien und fortzufahren, notierte Sie sich noch schnell im Geiste und holte dann innerlich tief Luft.
Und dann präsentierte Sie ihm die folgenden zwei Geschichten zur Auswahl:
"Die Ungeduld und Der Zauber des Momentes [Kurztext]"
und
"In der Stille des Morgens [Kurzgeschichte]"
Er [nennen wir ihn der Einfachheit halber ab jetzt mal den Herr B.] entschied sich für die zuletzt genannte Geschichte und Sie begann ihm, immer noch leicht überfordert mit dieser Situation und auch immer noch etwas unsicher in der Präsentation ihrer Texte, daraus vorzulesen.
Mit der Zeit fing sich ihre angespannte Stimme und allmählich glitt Sie auch hinein, in den vertrauten Rhythmus des von ihr geschriebenes Textes. Die Versprecher wurden auch langsam weniger und Sie spürte, das Sie an Raum gewann. Raum, an und in dem Sie wachsen konnte, dachte etwas in ihr erleichtert.
Sie offenbarte sich ihm, Sie präsentierte ihm ihre Gedankenwelt und die damit verknüpften emotionalen Ebenen. Sie öffnete sich.
Ob auch er sich für Sie öffnen könnte und würde, stand allerdings auf einem anderen Blatt. Das konnte Sie gefühlt weder fordern noch erwarten, dachte Sie. Es war etwas, was sich nur wieder neu ergeben konnte, beschloß Sie den Gedanken im Stillen, während ein anderer Teil von ihr sich wunderte, das Sie überhaupt derlei Gedanken hatte.
Das ist schon auch etwas creepy, dachte dieser Teil.
Gleichzeitig fragte sich etwas in ihr, ob es diese Art von Freiraum lassen war, die dazu führte, das er sich seinen Freiraum tatsächlich auch genauso nahm, wie er es halt getan hatte. Ohne dabei groß auf Sie oder seinen Sohn zu schauen. Wenn man es genau nehmen wollte, überlegte Sie, hatte er auch im Kleinen nicht auf sie beide geschaut und war nicht dagewesen, als sie ihn gebraucht hatten.
Sie wußte trotzdem keine Antwort darauf. In diesem Moment konnte Sie sich keine Antwort auf diese stumme innere Frage geben. Sie hatte schlichtweg keine. Deshalb vertagte Sie diese Sache und tat sie in das Schubkästlein zu den anderen unbeantworteten Fragen, um es anschließend energisch zurück in ein Regal ins Innere zu schieben.
Langsam las Sie ihm in der Außenwelt die letzten Worte der Geschichte vor und endete dann, gespannt auf seine Reaktion.
Etwas in ihr fragte, ob Sie sich nun dafür ein Lob wünschte oder worum zur Hölle es ihr hier eigentlich ging.
Aha, da war der Part, der einem das eigene Tun gern madig machte, dachte sie angeekelt. Ein innerer Kritiker-Typ mit Hang zum Täter und zur Abwertung, den sie nun schon eine Weile scharf im Blick hatte, auf eine achtsame und aufmerksame Weise.
Dann erinnerte Sie sich:
"Du wünscht dir, das er deine Entwicklung wahrnimmt. Das er wahrnimmt, das sie stattgefunden hat. Aus irgendeinem Grund ist dir das wichtig.", erklang es ruhig aus ihrem Inneren.
Das Gespräch mit Herrn B. endete in einem Gespräch über die Klickzahlen ihres Blogs und das es ja nicht gerade eine hohe Zahl sei und folglich mit diesen "Texten" für Sie wohl auch "kein Geld zu machen sei" und überhaupt, so richtig habe er mit dem Text auch nichts anfangen können.
Dieser letzte Satz war nicht, was er sagte, aber er war das, was er dachte und was Sie hörte, da war Sie sich sicher. Sie konnte regelrecht spüren und "riechen", das er so dachte.
Die anderen Sachen hatte er allerdings gesagt. Jedes einzelne davon. Und damit hatte er im Prinzip nichts anderes ausgedrückt, als:
"Ja, schön für dich, das du schreibst. Das sagt aber erstens nichts über die Qualität aus (da hat er recht, dachte Sie unwillkürlich) und zweitens ist der Markt klein und deshalb wirst du damit nichts verdienen."
"Womit er vermutlich auch Recht hat", machte sich erneut eine Stimme in ihr bemerkbar. Nur, was wenn das garnicht ihre Priorität und ihr Anspruch waren?!, dachte sie seufzend.
"How about this Baby?!"
flüsterte es wie ein Echo in ihrem Kopf, um dann langsam in rollenden Tönen wieder zu verhallen.
Letztendlich sagte er ihr doch:
"Wozu schreibst du überhaupt. Ich versteh nicht, warum du das tust. Du kannst es eigentlich, meiner Meinung nach, auch gleich lassen, weil es verschwendete Lebenszeit und Lebensmüh ist."
"Punkt, Baby!" krähte etwas fröhlich in ihr.
Am Ende seiner unausgesprochenen Worte stand für Sie klar erkennbar:
"Du kannst wie gehabt keine Leistung einbringen, die dir Geld bringt und deshalb hast du auch nicht wirklich etwas erreicht in meinen Augen. Du bist derselbe verkackte Charakter, der zu nix taugt und der du immer warst."
Bei diesen Worten schien er sie geradezu anzufunkeln, das sah sie in ihrer Vorstellung deutlich vor sich.
[Discordia kicherte.]
Und *Bämm* stand Sie wieder vor ihrer Sie abwertenden und Sie klein haltenden Adoptivmutter, diesmal manifestiert in Herrn B., ihrem situationsbedingten Gegenüber.
Holy shit!
Aber, Sie hatte dazugelernt. Sie hatte diese alten Abwertungsmuster verstehen und erkennen gelernt und ihnen damit einen großen Teil ihrer Macht über sich genommen. Und sie wußte genau, warum und für wen Sie schrieb.
In erster Linie schrieb Sie für sich selbst, weil es ihr gut tat, weil Sie sich darüber kennenlernen konnte, überlegte Sie. In zweiter Linie schrieb Sie für Menschen, die ihre Texte lesen würden und die vielleicht daraus etwas für sich mitnehmen konnten oder mochten. Sie schrieb auch, um ein Beispiel zu geben, wie es sein kann im Leben, um davon zu erzählen wie es sein konnte.
Um zu schildern wie und mit welchen Gedanken und Erfahrungen Sie ihren Weg ging. Und Sie schrieb, weil es ihr Spass machte und Freude bereitete. Und nicht zuletzt schrieb Sie, weil Sie sich während des Schreibens kreativ ausdrücken konnte und das war vielleicht sogar der beste aller Gründe zu schreiben, dachte Sie.
Und der Leistungsgedanke, pah, der stand ganz sicher nicht oben auf ihrer Liste, dachte sie, während innerlich etwas empört schnaubte.
Ihrer inneren Argumentation folgend waren Klickzahlen und vordergründige Verwertungsideen nunmal nicht so wichtig für Sie. Es würde Sie lesen, wer Sie lesen "sollte" oder wollte.
"So einfach, Baby!"
flüsterte es in ihr.
"Die Texte werden erreichen, wen auch immer sie erreichen sollen.."
rief es sanft hinterher.
Sie würde das entspannt sehen und nicht viel auf diese scheinbar so wichtigen Klickzahlen geben. Sie nahm sich nochmal entschieden vor, nicht in diese Leistungsfalle und unter diesen Druck zu geraten.
Alles war gut, wie es gerade war, sagte Sie sich. Wer weiß, ob Sie das überhaupt wollte, dieses "von ganz vielen gelesen zu werden", pah! Das war ja auch noch nicht mal ansatzweise geklärt oder überhaupt innerlich als Thema angekuckt, überlegte Sie. Und zum jetzigen Zeitpunkt wollte Sie darüber auch garnicht nachdenken, also schob Sie das Thema gedanklich zurück in die Ecke der ungelegten Eier.
Ein Geräusch aus dem Draussen drang in ihr Bewußtsein und ließ Sie aus den Überlegungen hochschrecken. Uih, das klang fies.
Draußen sang irgendeine arme Kreatur das letzte Lied ihres Lebens. Zumindest klang es danach. Das Geräusch war schrill, leidend, in Wellen auflodernd und ebbte dann langsam ab. Ihr schauderte und eine dicke fette Gänsehaut kroch ihr den Rücken herauf. Das brachte Sie zurück in die Gegenwart und raus aus dem Dschungel ihrer Gedanken.
Plötzlich fiel ihr auf, das Sie innerlich schon wieder vor ihrer Adoptivmutter gestanden hatte, als Sie über das Gespräch mit Herrn B. nachsinnierte.
"Auf Wiedersehen Mama!" rief Sie spontan erleichtert aus und schon rauschte sie ab, diese "Hexe", wie Sie sie manchmal emotional entflammt für sich nannte.
"Endlich haut sie ab und lässt mich in Ruh!," überlegte Sie.
"Ihre Auftritte werden immer kürzer und es gelingt mir inzwischen immer öfter, sie, die Erscheinung der Adoptivmutter selbst, wie auch die Auftritte dieser Erscheinung, aus einer heilsamen Distanz zu erleben.", fasste Sie das Geschehen für sich erleichtert zusammen.
Das machte ihr Mut! Und Mut konnte Sie gut brauchen.
- Ende -
Pat - 07.11.2016
20:53h
edit 14.11.2016
Tags: Kurzgeschichte, Gedankenwelt, Adoptivmutter, schreiben, Muster, Abwertung, Leben, Besuch, HerrB, Sie, Discordia
zu diesem Text:
Dieser Text wurde in Form einer experimentellen Kurzgeschichte um eine Art Alter Ego von mir geschrieben. Ihr Name ist mir noch nicht bekannt, daher tritt sie schlicht als "sie" in Erscheinung.
Der Text basiert überwiegend auf erlebten und zum Teil auf fiktiven Inhalten und Angaben, um mir dergestalt ein empfundenes Mehr an schriftstellerischen Freiheiten zu ermöglichen.
Betrachten sie den Text bitte einfach [wie ich] als Experiment. ;)
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