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Donnerstag, 14. April 2016

Im Krankenhaus - Tag 1 (Charlotte)


Im Krankenhaus - Tag 1

[Charlotte]


Neben mir liegt der Verfall in Form einer alten Dame, die sich langsam in den Tod schläft und röchelt. Charlotte's Haut ist violett verfärbt und geschwollen. Ein Mann sitzt ihr still bei und nimmt - so fühlt es sich an - leise Abschied. 
Anblick und Szenerie gruseln mich. 

Dank der Hochsensibilität sind meine Sinne zum zerreißen gespannt, ich habe unruhige Stunden hinter mir. Links von mir blubbert eine Art Plastik-Wasser"bong", das an einem Sauerstoffanschluß hängt. Von dem "Bong" führt ein Schlauch zu Charlottes Nasenlöchern. Das wird wohl ihr Beatmungsschlauch sein.

Ich überlege wie alt Charlotte wohl sein mag. Ihr Gesicht ist stark verquollen und es ist schwer ihr Alter einzuschätzen. 

Ich denke das sie 70 oder 80 Jahre alt sein könnte. Sie könnte aber ebensogut auch 90 oder gar 100 sein, es ist mir nicht möglich eine profunde Schätzung hinzubekommen.

Mit Charlotte geht es wohl bald zu Ende. Es klang so heraus, ich konnte es einem Gespräch entnehmen, als hätte sie das wohl auch gewußt und auch eigentlich nicht mehr ins Krankenhaus gewollt. 

Arme Charlotte, am Ende deines Lebens bist du allein. Zurückgelassen und ohne Angehörige liegst du hier einsam im Sterben. Nur das Blubbern des "Wasserbong" für deinen Sauerstoffschlauch ist zu hören und dann bin da noch ich, im Bett neben dir. Und es gruselt mich. 

Es gruselt mich, weil Verfall und Tod mir gerade sehr nahe sind. Mir insgesamt wieder mal beängstigend nahe gekommen sind. 

Verfall und Tod, Kräfte - unsichtbar und sehr real, im Bett neben mir auf Charlotte lauernd; wie zwei Brüder, die Hand in Hand arbeiten, im Team. Erst tut Bruder Verfall sein Werk und öffnet dann damit Bruder Tod die Tür. 

Es gruselt mich, weil ich es traurig finde, dass Charlotte am Ende ihres Lebensweges so ganz allein zu sein scheint; bis auf den Pfarrer aus dem Altenheim, der still an ihrem Bett sitzt.

Es gruselt mich, weil ich mich - wieder mal - frage, wie mein Ende wohl aussehen wird. Werde auch ich irgendwann einsam und verlassen in einem Krankenhaus vor mich hinsiechen, bis ich den verfallenden Körper verlassen darf? 

Wird es weh tun und wieviel werde ich dann noch von all dem mitbekommen?

Werde ich vor mich hindämmern oder bis zuletzt mit einem scharfen und analytischen Verstand "gesegnet" sein? 

Charlotte schnarcht röchelnd. 
Ich atme schwer. 


- Ende - 


Pat - 14.04.2016, 17:01h

(eine kleine Kurzgeschichte aus der Reihe "imKrankenhaus") 

2 Kommentare:

  1. Es ist doch so, je älter wir werden, desto öfter begegnen wir den körperlichen Tod. Er ist wie alles im Leben, ob Stimmung, Karriere, oder die Liebe mal sanft und mal tosend.
    "Lasse Dir Leben und Tod gleich wichtig erscheinen und Du bist befreit von Angst" (buddhistisches Zitat)

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    1. Ja, genau. Das ist es was ich derzeit überdeutlich spüre: die zunehmende Konfrontation (und Auseinandersetzung) mit dem Thema Tod und Verfall, nachdem ich dies lange gedanklich ausgeklammert hatte. Das ich solche Dinge so intensiv wahrnehme liegt an der HS, daran ich eine sogenannte hochsensitive/hochsensible Person (HSP) bin.
      Jedenfalls spüre ich derzeit sehr deutlich das sich das Rad der Zeit dreht, während es gefühlt vor einigen Jahren nahezu still zu stehen schien. Ich glaube eine Ursache meiner jetzigen Eindrücke könnte sein, das ich den Tod (wie gesagt) eine gewisse Zeitlang (aus Gründen) restriktiv aus meiner Wahrnehmung ausgeklammert und verdrängt hatte und mich nun situationsbedingt einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Leben und Tod annähere/annähern "muss" (psychisch betrachtet) um auch in diesem Punkt innerlich ins Reine und in die Waage zu kommen.

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