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Montag, 26. Oktober 2015

Der Sohn der Vogelfrau (Erlebnis eines Mißbrauchs) [Erzählung]




Der Sohn der Vogelfrau

[Schilderung und Erleben eines Mißbrauchs]

Ich möchte heute über etwas sprechen, von dem es nicht leicht fällt zu sprechen. Nun, das tut es mir jedes Mal nicht, wenn ich über derlei spreche, wird mir gerade klar während ich diese Worte in mein Handy tippe. Aber in diesem Fall ist die Sache doch noch etwas anders gelagert.

In Bezug auf die Themenwahl geht es seit langem wieder richtig an's Eingemachte. Ich möchte auf ein Erlebnis von vor langer Zeit zurückgreifen, weil ich es für prägend erachte. Ich werde es aus der heutigen Distanz neu erleben und dieses dann hier schildern.

Ich war 11 Jahre alt, wir hatten das Jahr 1974 und ich wohnte in Hamburg Bramfeld.
Ich habe bisher nur im engsten Kreis über das gesprochen, was damals vorfiel und hatte dann immer auch mit meinen Emotionen zu kämpfen.

Kurioserweise weiß ich nicht einmal genau, wie man dieses Erlebnis nennt, in welche Schublade man es zum Beispiel im strafrechtlichen oder psychologischen Sinne heutzutage einordnet. Das ich das nicht weiß, liegt wohl daran, das ich nie wirklich offen darüber gesprochen habe, außer wie gesagt mal im allerengsten Kreis. Aber was es ist oder nicht ist, darauf komme ich am Ende noch zu sprechen. Jetzt möchte ich die Geschichte einfach erstmal erzählen.

Wir erinnern uns, ich war ein Jung-Teenager von circa 11 Jahren. Ich denke, es war die Zeit in der der Trouble langsam richtig anfing zuhause, aber das hat hier nicht viel zu heißen, für den Moment kann man es als nachrangig betrachten. Ich wohnte also mit meinen Adoptiveltern und meiner Oma zusammen. Wohntechnisch war es nett dort. Kleine Hausabteile, in jedem 2 Wohnungen, eine oben, eine unten, 5 dieser Abteile in einer Reihe ergaben ein Reihenhaus. Die untere Wohnung hatte einen kleinen Garten samt Terrasse. Ein soweit idyllisches Fleckchen in Bramfeld, überwiegend von Arbeiterfamilien bewohnt. Gebaut wurde die Siedlung irgendwann in den Sechzigern. Man kannte sich dort mehr oder minder lasch untereinander, doch jeder wußte in etwa, was der andere machte. Wir lebten im Jahr 1974. In der Schule war ich in der 6. Klasse, noch Beobachtungsstufe, auf dem Weg zur Realschule. Soviel zu den äußeren Umständen.

Ich war draußen unterwegs, es muss am frühen Nachmittag gewesen sein. Das erkenne ich am Lichteinfall in den Szenen, an die ich mich gut erinnere. Erstaunlich, wo dies nun schon rund 40 Jahre zurückliegt.

Ich glaube, ich hatte nichts spezielles zu tun und streifte auf der Suche nach Ablenkung gelangweilt durch die Park ähnlichen Grünflächen zwischen den Häusern. Manchmal konnte es dort sehr sehr langweilig sein. Wenn ich niemanden zum spielen fand, war es geradezu zum Sterben langweilig.

Auf meinem Streifzug traf ich eine ältere Frau, die ungefähr 50 Jahre alt war. Ich kannte sie unter der Bezeichnung "Vogelfrau", weil man sie oft und zumeist eingehüllt in altmodische Altfrauenklamotten, im Herbst und im Winter Fettbälle und ähnliches Vogelfutter für die Vögel aufhängen sah. Vielleicht machte sie das auch ganzjährig, ich weiß es nicht mehr. Aber ich weiß noch, das man sie oft dergestalt durch die Büsche krauchen sah. Sie hatte unter anderem wegen diesem Verhalten einen sonderbaren Ruf. Nichts genaues wußte man von ihr, aber sie wirkte schon etwas seltsam, wenn man sie, oft leise Selbstgespräche führend, durch Äste und Zweige knacksend im Unterholz sah und manchmal ehr hörte als sah. Sie war allen etwas unheimlich und ich glaube man sprach im allgemeinen nicht mit ihr, das wurde seitens der Eltern wie der Nachbarschaft so gehandhabt, als hätten sie sich still darauf verschworen, daß man mit so einer, wie sie es war, nicht sprach. Sie war den Leuten seltsam und unheimlich und man hatte nichts mit ihr zu tun (zu haben).

Wie es der Teufel will (verzeihen Sie mir bitte diese Phrase) fehlt mir jetzt ein kleines Stück Erinnerung, denn ich weiß noch genau, daß man sich besser nicht mit ihr einließ (so ja das einhellige Credo), aber ich sehe mich im nächsten Moment mit ihr ins Haus und zu ihrer Wohnung gehen. Sie hatte mir einen heißen Kakao angeboten. Und ich ging, trotz eines tief in mir sitzenden Zögerns, dann doch mit. Obwohl ich es eigentlich nicht wollte. Erstaunlich, da fehlt wirklich ein ganzes Stück in meiner Erinnerung, aber davon wollen wir uns jetzt nicht irritieren lassen.

Die Vogelfrau hatte es also irgendwie geschafft, das ich sie mit der Aussicht auf einen heißen Kakao als harmlos einstufte und mit ihr mitging. Vielleicht hatte meine Langeweile, als ich auf sie traf, auch ihren Anteil daran, daß ich letztlich trotz des Zögerns doch mitging.

Die Wohnung muss im dritten oder vierten Stock gewesen sein und der Eingang ging von einem der Laubengänge ab. Das Haus war eines der vier oder fünf 'Hochhäuser' in dieser Gegend. Es hatte fünf oder sechs Stockwerke. Im mittleren Teil waren die größeren Kernwohnungen und das Treppenhaus. Von dem großen Treppenhaus gingen Holztüren mit Glasfenstern nach links oder rechts zu den Laubengängen (überdachte Außengänge an Häusern) ab und von diesen kam man dann zu den Wohnungseingängen.

Ich sehe das Haus wieder genau vor mir. Ich kannte es gut, weil eine Mitschülerin hier mit ihren Eltern und Geschwistern wohnte. Rund um das Treppenhaus waren die großen Wohnungen gruppiert, sie hatten drei oder vier Zimmer und ein vergleichsweise großes Wohnzimmer mit einer breiten Fensterfront. Diese Wohnungen waren sehr beliebt, es gab lange Wartelisten dafür.

Die von den Laubengängen abzweigenden Wohnungen waren kleiner. Sie hatten nur zwei kleine Zimmer, eine kleine Küche, ein kleines Bad und einen langen, engen Flur. Wir waren also im dritten oder vierten Stock, auf der linken Seite des Gebäudes, von unten vom Hauseingang betrachtet.

Die Vogelfrau schloß die Wohnungstür auf und wir betraten einen langen, dunklen, engen und muffig riechenden Flur. Es roch nach alten Menschen und abgestandener Luft. Gleich links ging vom Flur die kleine Küche ab, deren Fenster wiederum zum Laubengang hinausging.

Die Vogelfrau bedeutete mir, den Flur entlang in Richtung Wohnzimmer zu gehen und mich dort zu setzen. Sie würde sich um den heißen Kakao kümmern und später auch ein paar Kekse mitbringen.

(Während ich das hier aufschreibe, schreit ständig Etwas "Klischee, Klischee!" in mir. Und ich bemerke, daß die Situation tatsächlich im Nachhinein wie ein Klischee erscheint. Doch nehme ich mir in dieser Beziehung keine dichterische Freiheit heraus und beschönige oder dramatisiere etwa die Situation. Noch füge ich etwas Situationsveränderndes hinzu oder lasse bewußt etwas aus. Nein, ich bin gerade ganz in dieser Situation, ich wiederhole sie im Geiste, um mich so gut ich kann zu erinnern und dann versuche ich zu beschreiben, was sich an diesem schicksalshaften Tag ereignete.)

Erinnern wir uns, ich sollte dem Flur ins Wohnzimmer folgen, sie käme dann mit Kakao und Keksen nach.

Als nächstes sehe ich mich einen kleinen, gegen das Nachmittagslicht abgeschirmten Raum betreten.

Rechts neben der Tür steht eine altmodische Bettcouch, sie ist Tageslicht tauglich zusammengeklappt. Vor ihr steht ein Wohnzimmertisch, auf dem eine Wachstuchdecke mit Blumendekor liegt. In der Mitte steht eine alte Steingutvase mit Blümchen. Auf dem Sofa sitzt ein Mann in einem weißen Trägerunterhemd, ich glaube "Feinripp" nennt man diese Art Unterwäsche. Der Mann ist ungefähr 30 Jahre alt. Obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, das er mir vorgestellt wurde, weiß ich das er ihr Sohn ist. Das ist die zweite Erinnerungslücke, die ich habe.

Er sitzt dort also in seinem weißen Unterhemd auf der Couch. Unten herum trägt er passend eine lange weiße Unterhose aus Baumwolle mit Eingriff, im selben Stil wie das Unterhemd. Dann dunkle Männersocken und Hauspuschen. Er begrüßt mich und bedeutet mir, mich neben ihn zu setzen. Dafür rückt er ein Stückchen nach rechts, damit ich linkerhand von ihm Platz nehmen kann. Ich erinnere nicht mehr, was er zu mir sagte. Aber ich erinnere genau, was er kurz darauf tat.

Er ergriff meine rechte Hand, zog sie langsam aber bestimmt zu seinem Knie und legte sie dort ab. Dann versuchte er meine Hand mit seinen Fingern (zu!) vertraulich zu streicheln. Ich wollte das nicht, und zog bei dieser ersten Berührung meine Hand mutig aus der seinen, und brachte sie somit zurück zu mir, auf meinen Oberschenkel. Unsicher wie ich mich nun zu verhalten hätte, blieb ich so sitzen.

Diese Situation war mir ganz und gar unangenehm. Ich wußte nicht wie ich mit ihr umgehen sollte oder konnte. Ich fragte mich, wo die "Vogelfrau" mit dem Kakao bloß blieb. Es konnte doch nicht solange dauern, einen Kakao zu machen? Wenn sie doch nur käme und diese peinliche Situation unterbrechen möge. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst, um mich aus diesem Moment zu befreien, er war mir zum schreien unheimlich, aber die Frau kam und kam nicht und so saß ich da, neben ihm, wie angenagelt.

Alle Stoßgebete brachten nichts, sie blieb in der Küche verschollen, während ihr Sohn inzwischen erneut nach meiner Hand griff.

Wieder nahm er sie, zog langsam aber bestimmt und fordernd an ihr und legte sie auf sein linkes Knie. Dann fing er an meine Hand mit der seinen zu tätscheln und schob dabei gleichzeitig meine Hand in Richtung seines Geschlechtes hinunter, das unter der dünnen Unterhose nur unzulänglich versteckt war. Er legte meine Handfläche darauf, dann schob er meine Fingerspitzen durch den Eingriff ins Innere seiner Hose. Ich konnte sein Genital warm pulsierend unter meiner rechten Hand spüren. Heiße, nackte Haut unter meiner Haut, sehr lebendig und sehr unheimlich. Mit seiner Hand presste er meine Hand auf sich, während er sich gleichzeitig von unten vom Becken her unauffällig in kleinen Stößen an mir zu reiben versuchte. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Die Berührung mit ihm war mir gänzlich unangenehm. Es war meine erste sexuelle Begegnung und sie war nicht freiwillig sondern durch ihn erzwungen und fühlte sich verstörend an.

Wann immer ich versuchte ihm die Hand unauffällig wieder zu entziehen, hielt er sie nur noch stärker fest, so daß ich nicht freikam. Ich hörte ihn einige Male unterdrückt seufzen, er war sehr erregt.

Ich war in der Situation und ihrer Peinlichkeit gefangen. Ich war nicht imstande auf diese massive Grenzüberschreitung angemessen zu reagieren oder überhaupt bewußt zu agieren. Mir war das alles einfach nur unsäglich peinlich und unangenehm. Es war etwas verstohlenes und heimliches an dieser Situation, das ich nicht durchbrechen konnte. Als einzig passenden übergeordneten Begriff für dieses Erlebnis fällt mir nur ein, das es für mich "overwhelming" war.

Nur wenige Meter vor mir gingen die Fenster des Raumes auf die Grünfläche hinter dem Haus hinaus. Hätte ich dort am Fenster gestanden, hätte ich in Blickrichtung nach rechts hinten unser Haus sehen können, leicht erkennbar hinten einigen Bäumen, die es nebst einem kleinen Gehweg zu dieser Wiese abgrenzten. Zuhause waren meine Adoptivmutter und meine Oma. Mein Vater war nicht da, er arbeitete noch. Vielleicht gerade mal 30 Meter von mir entfernt - also fast in Rufweite - wäre theoretisch Hilfe gewesen.

Aber ich war nicht zuhause und ich stand auch nicht am Fenster. Ich war in der Wohnung der Vogelfrau und saß neben ihrem perversen, leicht zurückgebliebenen pädophilen Sohn auf der Couch und wußte nicht was ich tun sollte. Sowas wie Handy's gab es 1974 noch nicht und ich denke man hatte damals dort in dieser Wohnung auch kein Haustelefon. Damals hatte bei weitem nicht jeder ein Telefon im Haus. Ich war also allein mit ihm und der Vogelfrau und es gab keine Hilfe für mich.

Gehen wäre eine Option gewesen, aber er weigerte sich mich loszulassen. Warum ich nicht anfing zu schreien oder laut zu werden erinnere ich nicht. Es (er!) war mir unangenehm. Vielleicht redete er auch auf mich ein, das ich still blieb. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist ebenfalls, das ich die Schuld dafür bei mir suchte und deshalb schwieg. Ich weiß es nicht.

Als ich schon dachte, daß ich es nicht mehr aushalte, konnte ich ihm durch einen spontanen Ruck doch noch meine Hand entreißen. Danach hatte ich das dringende Bedürfnis seine Mutter ins Spiel zu bringen und rief nach ihr. Sie rief zurück, das sie gleich käme. Sie würde dann für mich der Situationsunterbrecher sein und mit ihrem Auftritt würde ich mich aus dem Bann des Erlebten lösen können. Das wiederum würde mich befähigen, selbst aktiv zu werden und dort zu verschwinden.

Aber als sie erschien sprach der von ihr Angesprochene nicht über das, was geschehen war. Das Geschehene war inzwischen irgendwie, wie von Zauberhand tabuisiert. Als ob es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen diesem Mann und mir gegeben hätte, das wir beide über die Geschehnisse schweigen würden, jeder aus seinem Grund. Dem der Scham, dem der Angst.

Jetzt endlich also betrat seine Mutter die "Vogelfrau" den Raum. Mit dem Kakao, aber ohne die Kekse. Sie entschuldigte sich, daß es so lange gedauert hätte, aber die Milch habe ja schließlich auch erstmal heiß werden müssen.

Ich weiß nicht mehr, unter welchen Umständen ich die Wohnung verlassen habe, aber ich denke, das ich den Kakao nicht mehr trank.

Ich wollte dort nur noch raus, das jedenfalls weiß ich noch recht genau. Die Geschehnisse waren sehr verstörend für mich und ich weiß bis heute nicht, was das genau war. Nennt man sowas nun sexuelle Belästigung von Minderjährigen oder ist es sexueller Mißbrauch oder Kindesmissbrauch?

Eigentlich spielt es auch keine Rolle mehr, wie man das Geschehene nennt.
Für mich nenne ich es Mißbrauch, denn dieser Mann hat mißbräuchlich eine Situation ausgenutzt, um sich an mir zu vergehen, was bedeutet, daß er mich missbraucht hat. Er hat mir etwas aufgezwungen und mir damit Unversehrtheit und kindliche Unschuld genommen.

Er hat durch mich und die Berührung mit mir einen Trieb ausgelebt, er hat seinen Trieb zwangsweise über mich und durch mich ausgelebt. Obwohl ich ein Kind war und obwohl er wußte, das ich das nicht wollte. Ich glaube, beides war ihm scheißegal. Oder es hat ihn noch zusätzlich angetörnt. Ich weiß es nicht.

Manchmal habe ich auch überlegt, ob seine Mutter nicht vielleicht genau wußte, was er tun würde. Und ob sie ihm nicht vielleicht bewusst zugearbeitet hatte, indem sie mich dort anschleppte. Für diese Möglichkeit spricht jedenfalls der Umstand das sie lange in der Küche verschwunden war. Angeblich ja nur um den Kakao zu machen.

Ich habe mich von diesem Schrecken nie wieder völlig erholt. Ich habe die Wohnung der Vogelfrau nie wieder betreten und auch nie wieder mit ihr gesprochen. Auch ihren Sohn sah ich zum Glück nie wieder. Ich sprach weder mit meinen Eltern darüber, noch mit sonst jemandem aus meinem dortigen Umfeld.

Es war nichts, worüber ich mit jemandem sprechen konnte. Es war niemand da, zu dem ich genug Vertrauen gehabt hätte und ich wußte auch niemanden mit einem offenen Ohr zu dem ich damit hätte gehen können. Am allerletzten konnte ich mir vorstellen damit zu meiner Adoptivmutter zu gehen. Sie hätte mir nicht geglaubt. Und für den unwahrscheinlichen Fall das doch, wäre ich die Schuldige gewesen, das wußte ich von unzähligen Situationen zwischen ihr und mir.

Mich an jemanden von außerhalb zu wenden, eine Beratungsstelle oder ähnliches, war auch nicht denkbar. Mitte der siebziger Jahre gab es dafür noch kaum ein Bewusstsein und selbst wenn, hätte ich nichts davon gewusst. Denn ich war elf und wußte noch nichts von der Erwachsenenwelt. Die bekam ich nur aus dem Fernseher mit und diese Welt war zahm.

Man wuchs damals in meinen Kreisen nach außen hin recht behütet und beschützt auf. Ich hatte also nicht einmal eine Idee, das es offizielle Stellen geben könnte, an die man sich wenden kann. Geschweige denn das ich überhaupt konkret gewusst hätte, das diese Sache unrecht gewesen war. Das konnte ich lediglich erahnen. Mein Verhältnis zur Sexualität war danach stets zwiegespalten und gestört, aber das ist ein anderes Thema.


- Ende -



Nachtrag:

Mir fiel beim schreiben einiges auf. Ich hatte kleine Ungereimtheiten und teilweise Erinnerungslücken. Daran wird zum einen die Zeit ursächlich sein, zum anderen die Psyche die den Zugang zu mancher Erinnerung offenbar gesperrt hat.

Weiterhin versucht wieder etwas in mir zu sagen, das ich mitschuldig am damaligen Geschehen war. Das ich mitschuldig daran war,  das es sich so entwickelte an diesem Tag. Es sagt so Dinge wie das ich mich mehr hätte wehren müssen oder nicht mit der Vogelfrau hätte mitgehen dürfen und so weiter.

Aber ich glaube dies ist etwas typisches. Opfer tendieren oft dazu sich selbst die Schuld zu geben, vielleicht auch aus dem Wunsch oder Gedanken heraus, mehr Kontrolle (oder überhaupt Kontrolle) gehabt zu haben über das Geschehen.

Ich werde diesen Kreislauf nicht weiter füttern, sondern heute als Erwachsene auf die kleine Levia von damals schauen und sie innerlich liebevoll an die Hand nehmen. Dann werde ich mir nochmal folgendes bewusst machen:

Ich war 11 Jahre alt und ich hatte keine Kontrolle über oder in der Situation. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben mit einem erregten Mann konfrontiert und das nicht aus freien Stücken. Er und seine Mutter, sie waren die Erwachsenen und sie hätten mich schützen müssen. Schützen vor sich selbst. Mich trifft keine Schuld. Punkt.

Ich habe darüber geschrieben, um mich davon zu befreien. Ich wollte es ein letztes Mal erzählen, um mich auf diese Weise bewusst befreien zu können und es dann in die Schublade des Vergessens zu sortieren. Und wenn ich damit vielleicht sogar anderen Betroffenen Mut machen kann, sich mit ihren eigenen Erlebnissen zu befassen und diese dann vielleicht sogar aufzuarbeiten und vielleicht wie ich öffentlich zu machen, auch um damit abzuschließen, dann ist das aus meiner Sicht ein weiterer wunderbarer Effekt dieser Schilderung.

Auf der Suche nach Information zu Kindesmissbrauch bin ich auf diesen Link gestossen:

"Erkennen, Folgen und Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs"
http://www.gegen-missbrauch.de/kindesmissbrauch

Dort wird anschaulich beschrieben, was in einem Menschen vorgeht, der Mißbrauch erlebte. Wer also das Gefühl hat, das er nach dieser Erzählung noch etwas Tiefgang benötigt möge sich dort einlesen. Vielleicht möchten sie sich auch ganz allgemein zu Kindesmissbrauch informieren, dann wäre der Link eine Gelegenheit dazu, ein erster Schritt sozusagen.

Wer sich über mögliche Folgen von Kindesmissbrauch informieren möchte, findet hier Informationen:

"Welche Folgen und Schäden kann sexueller Mißbrauch haben"
http://www.gegen-missbrauch.de/moegliche-folgen

Damit wären wir am Ende dieser Geschichte angelangt. Es ist nur eine von unzähligen in meinem Leben. Und es ist gut daß sie heraus ist. Ich verneige mich vor Leser und Leserin und trete nun ab.


Pat - 25.10.2015, 20-02:57h
        26.10.2015, 12-02h
        26.10.2015, 23:39h [Update-edit]
        26.11.2017 kleine Korrekturen, Ergänzung

Tags:  
Bramfeld, Erzählung, Kindesmißbrauch, Kindheit, Kurzgeschichte, Mißbrauch, sexueller_Mißbrauch, Vergangenheit, Vogelfrau

Samstag, 24. Oktober 2015

Die Wasserkesselflöte [Erzählung]


Die Wasserkesselflöte [Erzählung]


Momentan denke ich nicht selten darüber nach, warum ich dieses Blog mache. Ich hätte es wie früher machen und meine Gedanken zum Beispiel in ein Tagebuch stecken können. Doch, was ist ein Outing ohne 'Publikum'? Wohl ehr ein theoretisches Outing, eines das man in seinem Schädel doch auch schon tausendmal durchgespielt hat, ohne das es effektiv gewesen wäre. Ich denke, man benötigt für ein wirksames Outing ein konkretes Gegenüber, also mindestens einen theoretischen Gegenüber. Sonst ist es nur ein blasses und unnützes Outing. In der Theorie, im eigenen Kopf, da verpufft es gefühlt wirklungslos. Weil keiner außer einem selbst anwesend ist, der es hören könnte und weil man selbst sowieso weiß, was 'Phase ist'. Via Blog kreiert man sich also eine Art theoretischen Gesprächs'partner', der zuhört (geradezu zuhören muss) und später indirekt als Spiegel funktioniert. Mit dem "gedruckten" niedergeschriebenen Wort werden manche Dinge für einen selbst erst anfassbar, greifbar und damit auf eine spezielle Art und Weise erst real existent. 

So erfüllt mein Blog, selbst wenn es vielleicht kaum Beachtung finden wird, doch einen gewissen persönlichen Zweck, indem es tut was es soll. Den Dialog mit mir, über mich oder zu mir abzubilden. 
Ich bin froh, das ich es eingerichtet habe und dass ich die Schreibblockade, die auf soviel Mut prompt folgte, inzwischen überwunden habe. Es war eine gute Idee dieses Blog zu starten. Zumal mein anderes leider in Trümmern liegt.

Es gibt so vieles von mir zu erzählen und zu berichten. Vom Guten wie vom Schlechten. Unzählige Leichen stapeln sich noch in meinem Keller, stinken und wollen schon lange rausgelassen und befreit werden. 

Ich glaube, einige von ihnen sind schon fast zu Staub verfallen, wie man sich vertrocknende Mumien im Auflösestadium in einem bildgewaltigem Hollywood Mumienfilm so vorstellt. Ich sehe sie gerade deutlich vor mir. *lacht* "Nee nee, schön is anners." *grinst*

Es ist Zeit diese Überreste der Vergangenheit wegzuschaffen, alle wie sie da sind. Um Platz zu schaffen für die Zukunft. Ob es nun um (erlebte) Abhängigkeit(en), Verlust(e), Erkrankung(en), Traumata, Ängste und was weiß ich noch, um was alles geht: 
Auf diesem müffelnden Scherbenhaufen meines bisherigen Lebens lässt sich keine (gute) Zukunft bauen. Deshalb muss das weg. Nachhaltig. Schritt für Schritt werde ich Unnützes und Störendes beseitigen, indem ich darüber schreibe. Hier in diesem Blog, aber auch überall dort, wo ich mich zum schreiben wohl fühle. 

Die Feder als Schaufel. Geile Vorstellung. Man hat mir schon so oft dazu geraten, (m)ein Buch zu schreiben. Damals dachte ich, das machst du, wenn du alt bist. ;-) Genau genommen könnte ich inzwischen eine ganze Buchreihe über all die vielen Irrungen, Wirrungen, Erlebnisse und 'Katastrophen' meines Lebens schreiben. Und wenn ich dazu auch all das Gute und Schöne erzählte (und das sollte ich unbedingt), habe ich bereits jetzt ein absehbares Zeitproblem. ;)
Vermutlich muss ich das jetzt einfach nur machen. Anfangen und damit fortsetzen, was ich in Episoden früher schon begann. Es muss alles einmal erzählt werden. Einmal schildern und dann frei werden davon. 

Es ist der Druck, der einen on Top fertig macht. Es ist nicht leicht, zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man immer alles in sich zu behalten und zu verstecken versucht. 

Man schweigt aus Scham oder Schüchternheit, aus Angst ausgestoßen zu werden aus der Gesellschaft/dem Umfeld oder weil man sich vorstellt, dass es so wäre, das man dann abgelehnt werden würde oder werden könnte, wenn man offen spricht. Das man eben Ärger bekommen könnte oder mit eventuell negativen Reaktionen darauf nicht umgehen kann. Ich habe da leider auch oft mit diffusen aber auch rationalen Ängsten zu kämpfen. 

So baut sich mit der Zeit ein lastender, drückender, quälender und stetig zunehmender Druck in einem auf. Ein Druck der einem mit der Zeit zunehmend die Luft zum atmen nimmt, der die Kehle eng macht, die Gedanken konfus werden lässt (weil sich davon das Hirn im Kreis dreht) und der die Hände zittrig werden lässt. Wenn man Pech hat "schenkt" dieser Druck einem auch sowas wie Tinnitus oder Depressionen oder noch schlimmeres und am Ende steht man nach zuviel Druck vielleicht auf irgendeiner Brücke oder einem Hochhaus und denkt darüber nach sein Leben zu beenden. 

Das Blog hat also eine Funktion als Ventil, wie eine "Wasserkesselflöte*" den kochenden Wasserkessel reguliert, ermöglicht es mir Druck abzubauen.
Und deshalb wird das auch was mit der Umsetzung des Blog-Motto's:
"Ich • mache • Frieden". Ich glaube fest daran. 

Pat - 24.10.15, 15:03h 

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Tags: Gedanken, Erzählung, Blog, Sinn, Reflektion

(*inspired by @petziege, einem Menschen dem ich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter begegnete und der mich spontan inspirierte )

Sonntag, 27. September 2015

Blaue Lichter [Erzählung]


Blaue Lichter

(Eine kleine Geschichte zu nächtlichem Twitterkonsum) 


Ich träumte davon, wie es wohl wäre, wenn man bei jedem Tweet einen kleinen Engergieausstoß ausschicken würde, als sichtbares Zeichen der gesendeten Gedanken und Worte. 

Wie es wohl aussehen würde, wenn diese kleinen, in meiner Vision blauen, Energiebündel freigesetzt würden, dass sie dann wohl langsam nach oben aufsteigen, um dann geradewegs durch die Dächer in den Himmel zu schweben. 

Ich sehe die Szenerie in dunkler Nacht, die ruhende Silhouette einer mittelgroßen Stadt, ausgestreckt am Fluß liegend. Dunkle Häuser, leere Gassen und verwaiste Straßen. Der breite Fluß glänzt silbern vorm, weit entfernt, am Firmament prangenden Vollmond. Alles ist still, alles ist ruhig. Vereinzelt bellt einsam irgendwo ein Hund. Die Stadt und ihre Menschen schlafen - vermeintlich. 

Und dann streben auf einmal hunderte oder gar tausende kleine Energiebündel aus den Dächern der Häuser in den Himmel hinauf. Mit jedem Tweet den wir abschicken, wird einer dieser blauen Lichtpunkte auf die Reise geschickt. 

In dieser dunklen ruhigen Nacht mit den leeren Straßen wirken die Lichter wie ein Beweis unserer (Fort)Existenz. Das wir weiterhin da sind, wach sind und nicht schlafen - und also sind! 

So sehe ich die blauen Lichter, als ob ein Bündel Sternschnuppen fallen würde, nur in umgekehrter Richtung. Denn in meiner Vision sind es nicht Sternschnuppen, sondern ausgedrückte Gedanken, in der Form kleiner, blauer und schwebender Lichter, die optisch Sternschnuppen gleichen und zielsicher aufwärts in den dunklen Nachthimmel schweben, gemächlich von unten nach oben. 

Ich stehe dort, schaue hinunter auf die scheinbar schlafende Stadt und folge den blauen Lichtern mit den Augen, bis sie nicht mehr zu sehen sind. Ich fühle mich, als hätte ich etwas heimlich mitangesehen. Als wäre ich ein zufälliger Zuschauer, der etwas sieht, was ihm nicht zu sehen bestimmt war. Ein stiller Zauber liegt über der Szenerie. 
Ich bin müde geworden, also drehe ich mich um und gehe still lächelnd nach Hause. 

- Ende - 


Pat - 27.08.2015 - 22:04h 

Samstag, 22. August 2015

Sieh mich an - Hör mir zu [Erzählung]


Ich würde gerne sagen: 
Sieh hin. Sieh mich an! Höre was ich sage. Be(ob)achte mich ein wenig, nimm mich wahr, höre mir zu, wie ich dir zuhöre: interessiert an dir und deinen Worten, deinem Leben. 

Doch du hastest vorbei, bist immer in Eile, immer im Stress, immer on the run, dein Kopf ist voller Dinge die du noch tun musst oder tun willst und wenn ich dich dann ansehe, weiß ich das du nur höflich sein wolltest, als du mich sahst und ansprachst. 

Mehr als ein kurzes "Lange nicht gesehen" und "wie geht's dir" war nicht dein Plan. Und ich werde dich jetzt nicht enttäuschen und mitspielen. Das tut man halt so, in einer Gesellschaft, meistens jedenfalls. Man hält sich an die Regeln und beide Seiten sind zufrieden. Ich bin damit eigentlich nicht zufrieden, mir ist das zu oberflächlich. Warum sendet man ein "wie geht es dir?" wenn man doch aber eigentlich wenig bis kein Interesse an der aufrichtigen Beantwortung hat, denke ich.

Das ist wieder mal so eines der Dinge, die ich auch nie richtig verstanden habe. Das ist eine der Sachen in denen ich mich deutlich unterscheide.Trotzdem habe ich bisher meistens dabei mitgespielt. Aber jetzt  reißt es mich und am liebsten würde ich dir ehrlich und offen und vielleicht für dich sogar in bedrückender Form ehrlich und offen darauf antworten, wie es mir geht. 

Eine Flut von Worten könnte dich treffen und über dir niedergehen, bis das du die Augen verdrehst. Ich würde sprechen bis deine Frage wahrheitsgemäß beantwortet wäre. Und dann den Ball wieder an dich geben.

Das könnte ich tun. Und damit wirksam diese Distanz übertreten, die du mit dir herumträgst. Ich würde damit den Umstand, dass du das alles garnicht (an)hören willst ignorieren und einfach machen. 

Ich könnte dich für einen kleinen Zeitraum dazu zwingen mir Aufmerksamkeit und Ohr zu leihen, bis bei dir die Geduld erschöpft ist und du dicht machst und dich zum gehen wendest. 

Aber was soll mir das bitte bringen. Denn du hörst oberflächlich zu und du siehst mich nicht wirklich, du siehst nur meine Hülle. Du, iSv. die Allgemeinheit, Otto Durchschnitt. 
Ich denke das man vorsichtig sein muss in der Formulierung solcher Statements, man darf beim pauschalisieren das differenzieren nicht vergessen. Dazu bin ich durchaus in der Lage, aber hier geht es mir um den statistischen Durchschnitt. 

Depressive sind entweder zuhause oder sie verstecken sich hinter einer Maske. Das war und ist bei mir nicht anders. Aber etwas hat sich geändert. Ich möchte darüber sprechen was mich bewegt. Ich will mein Ich nicht länger verstecken, verschleiern oder verleugnen. 

Die Theorie steht, es so auch zu leben werde ich lernen. Das Dunkle in mir will sich nicht ans Licht zerren lassen. (Wahrscheinlich weil es weiß, das es im Licht nicht weiter bestehen kann.) Es wehrt sich vehement dagegen. Ich werde um jedes geschriebene Worte mit mir ringen müssen. Denn ich bin ein Teil des Problems. 

22.08.2015 - Pat

Stichworte: Depression, Moods, Wunsch, äussererDialog, IchunddieDepression