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Und wieder mal: Veränderung
[Veränderung und das erkennen des Geflechtes, auf der Reise aus der Dunkelheit der Depression ins Licht]
Gellend zuckten die Schreie der Möwen über den pastellfarben blauen Novemberhimmel. Wolkenbänder zogen kaum merklich treibend in Bahnen dahin, ihrer Bestimmung entgegen.
"Wo auch immer diese zu finden war..", dachte sie seufzend.
Veränderung kommt nicht in einem großen Schritt, sondern in tausend kleinen Schritten, verteilt über die Zeit,
überlegte sie.
Und irgendwann stand man dann da und blickte zurück und sah all die kleinen Veränderungen Step by Step, wie sie sich in einem großen Ganzen zusammenfügten. Und im Nachhinein ergab so vieles einen Sinn, aus der Distanz erklärten sich die vielen kleinen Begebenheiten und Entscheidungen.
Die Veränderungen ballten sich geradezu zusammen, zu einem Ball der vielen kleinen Schritte, Erlebnisse und Lektionen [genauer: Informationen] des Lebens.
Und so hielt sie dann im Endeffekt jetzt, hier und heute eine Art Arbeitsversion dieses Balles in den seelischen oder geistigen Händen. Er war noch nicht vollkommen rund, dieser Ball, aber man konnte ihm seine Schönheit und sein verdichtetes Wissen schon ansehen.
Sie hatte nicht gewußt, noch hatte sie geahnt, das diese Schönheit in ihr stecken könnte. Es war etwas Vollkommenes. Es war Wissen in seiner reinsten Form und es war eingebettet in bedingungslose Liebe.
Zu sich selbst und zum großen Ganzen. Sie wußte es nun wieder, sie hatte es vor einigen Monaten erkannt, sie hatte "es" wiedergefunden. Sie war seit diesem Tag wieder bewußt Teil des Geflechtes, das aus reiner Energie und unzähligen Lebensformen und Lebensarten bestand. Und alle waren sie miteinander im Geflecht verbunden.
Ewig in ihrer Unendlichkeit und ihrem Sein und stetig wechselnd in den verschiedenen Aggregatzuständen ihrer Existenz, wie sie es für sich nannte.
Diese Art Schönheit lag in jedem einzelnen Wesen verborgen, sie ruhte dort, bis es bereit war, diese Verbindung [wieder] zu entdecken und bis man bereit war, sie [erneut] zu empfangen, in einem Akt von sich bewußt werden.
Es war eine Art Geschenk, dieses Bewußtsein. Und es verband alle bewußten Wesen miteinander, alles Sein. Es wurde einem zur Geburt in diese Existenz mitgegeben und dann, ja, was passierte dann eigentlich, überlegte sie.
Irgendwie schien es dann mit der Zeit zu verblassen und langsam in den Hintergrund des Daseins zu rutschen, als ob es in eine Nebelzone des Unterbewußten zurückgestoßen würde, dachte sie.
Vielleicht wurde es auch zurück ins Grau des diffusen Inneren gesogen. Hm, sie war nicht sicher.
Wurde es gestoßen oder wurde es gesogen?
Letztlich aber war das nicht wichtig. Es war eine unnötige Bewertung des Geschehens, eines Geschehens, das man unmöglich komplett bewußt erlebt haben konnte und deshalb spielte es keine Rolle, ob dieses Bewußtsein nun gesogen oder gestoßen würde. Das waren "zuviele [unnötige] Details", die sich von ihr sowieso nicht "mit Brief und Siegel" belegen lassen würden, dachte sie zerstreut.
Aber "es", dieses Bewußtsein um die Verbindung zum großen Ganzen, das kam einem mit der Zeit abhanden, ja, das traf zu, fasste sie für sich zusammen.
Als kleines Kind wußte man es noch, da war die Welt noch voller Zauber und Magie. In jungen Jahren sah man sie noch, die Fabelwesen unterm Bett oder im Schrank in der Ecke. Manifestierte Ängste und eine weite Vorstellungskraft, die eine magische Verbindung ins Geflecht hatte.
Oder man hatte diesen "unsichtbaren Kumpel" zum spielen, der für eine gewisse Phase da war, der einen begleitete und der einen so gut kannte. Und wie, als könnten sie ihn nicht sehen, sahen sie ihn auch wirklich nicht. Aber man selbst wußte genau, das er existierte, man konnte ihn sehen und mit ihm sprechen und mit ihm spielen. Er war eine Art Verbindungsglied zum Geflecht.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Kontakt zu Tieren. Wenn die Verbindung aktiv war, fand der Kontakt auf einer intuitiven Ebene statt, erfüllt von einer Leichtigkeit und einer gewissen Unkompliziertheit im Umgang mit dem Tier.
Manche nannten diese Menschen, die diesen intuitiven Draht zu Tieren hatten, in Ermangelung umfassenden Verstehens "Tierflüsterer".
Obwohl der Mensch nur seine menschliche Sprache und ein überschaubares Arsenal an Lauten hatte und Tiere die menschliche Sprache doch eigentlich nicht verstehen konnten, wie allgemein angenommen wurde, gab es eine Verständigung, auf einer anderen Ebene.
Es war eine tiefe Verbindung ins Tierreich, die sich manchmal ein Leben lang erhielt, wie als ein stiller Beweis für die Existenz einer übergeordneten und direkten Verbindung von Wesen untereinander, die man als junger Mensch noch quasi direkt erleben durfte.
Und dann irgendwann, irgendwie endete es. Sie war nicht sicher warum es endete. Vielleicht endete es, weil ihre Wahrnehmung sich änderte, vielfach korrigiert und konditioniert von den anderen und besonders von den Erwachsenen.
Und was die sagten, war klar: Dinge, die man nicht sieht, die gibt es nicht.
Obwohl ihnen inzwischen mithilfe der Wissenschaften schon unzählige Male das Gegenteil bewiesen worden war, war dies immer noch die grundsätzliche Einstellung der meisten Erwachsenen, sagte ihr die gemachte Erfahrung.
Das man zum Beispiel elektrischen Strom oder Gas nicht sehen konnte und beide trotzdem in der ihnen eigenen Struktur existierten, ja, das war halt etwas anderes, hieß es dann, wenn sie auf derlei Ungereimtheiten in ihrer Haltung hinwies.
Das sind nur die Hirngespinste deiner "überreizten Nerven", das wurde ihr dann oft genug suggeriert. Und doch wußte sie es besser. Es hatte diese Verbindung des großen Ganzen zu ihrem tiefsten Inneren gegeben und sie war real und echt gewesen.
Aber über die Zeit verblasste diese Verbindung zum Geflecht zu einer Erinnerung und diese wurde mit den Jahren und Jahrzehnten immer unzugänglicher und verschwamm schließlich mit der Zeit zu einer bloßen Frage, ob es diese Verbindung denn je tatsächlich gegeben habe.
Es gab eine Zeit in ihrem Leben, in der sie sich selbst nicht mehr sicher war und sich sagte, das sie all das wahrscheinlich nur geträumt hatte.
Knisternd und knackend fiel nun ein eisiger Schneeregen auf die kalten Blätter, die unter der Linde am Boden lagen, während sie sich auf dem Balkon ein kleine Auszeit vom Drinnen gönnte.
Ein fabelhaftes Geräusch war das! Es entzückte sie in seiner Leichtigkeit und mit dem Geräusch des raschelnden Knacken, das anscheinend die vielfach landenden Eiskristalle auf dem gefrorenen Blätteruntergrund verursachten.
Sie kam gerne hier hinaus, neuerdings wieder.
Schaudernd erinnerte sie sich an früher, wie es gewesen war, in ihrer dunklen Phase der allumfassenden Depression, in der sie sich vor dem Leben "da Draussen" versteckt hatte und kaum das Sonnenlicht sah.
Eine lange Phase des Getrenntseins, eine Zeit der Abkehr vom Leben und den Lebenden, ein Rückzug vom Draussen.
Ein Rückzug, der notwendig gewesen war, verursacht durch den inneren Schmerz und durch die innere Leere.
Verursacht auch von dem scheinbar endlosen Gefühl einer lähmenden Schwere, die sie damals ergriffen hatte und die begleitet wurde von einer unfassbaren Müdigkeit, die die ehedem mühsam struktrurierte Zeit aufweichte, zerbröselte und zu bedeutungslosem Staub zermahlte.
Sie hatte nicht damit gerechnet, das sie diese Jahre heil überstehen würde. Sie konnte auch nicht damit rechnen, das sie diese Zeit der Kämpfe mit mächtigen inneren Dämonen überleben würde.
Damals war sie über jeden einzelnen Tag "froh", den sie überlebte. Falls sie überhaupt gerade in der Lage war, einzelne Tage im Empfinden klar voneinander zu trennen und zu unterscheiden und sowas wie Freude zu empfinden. Oft war sie nämlich auch garnicht froh zu leben, weil das bedeutete all das noch länger zu er-tragen.
Manchmal waren es einfach nur zusammengeklumpte Ballen von Zeit, von Tagen, von Wochen oder gar von Monaten, die sich erst durch den Wechsel in eine andere Phase voneinander unterscheiden ließen. Und selbst diese Abstufung zu machen, fiel oft genug schwer oder war gefühlt nicht leistbar.
Oft war sie einfach froh oder sie wunderte sich auch manchmal, das sie es überhaupt schaffte, zu überleben. Denn in manchen Phasen kostete allein das überleben sie eine unfassbar große Menge an Energie und es schien unfassbar schwer zu sein, diesen Zustand auch nur einen Tag länger zu ertragen.
Das kostete Energie, die sie gefühlt längst nicht mehr hatte und sie ächzte oft unter der Vorstellung, bald einfach zusammenzuklappen, weil sie leergebrannt war.
Schwach, am Ende ihrer Kräfte, am Ende ihrer Zuversicht und am Ende ihres Vertrauens in das Leben und in den vermeintlichen Sinn des Lebens, der damals nur ein inhaltsloser leerer Begriff für sie war.
Inzwischen war es ihr zu kalt geworden, draussen auf dem Balkon. Die Luft war passend zur Jahreszeit wunderbar frisch und vorwinterlich klar und angehm zu atmen, aber die frierigen Finger waren schon etwas hinderlich beim tippen, dachte sie amüsiert.
Nun gut, warum nicht, es war inzwischen sowieso dunkel geworden um sie herum, nur der leuchtende Bildschirm ihres Handies leuchtete weißlich in der Dunkelheit und beleuchtete dabei den unteren Teils ihres Gesichtes, während sie emsig in die Tasten haute, um ihre Gedanken niederzuschreiben. Das sah bestimmt creepy aus, dachte sie lachend.
Es war an der Zeit hineinzugehen, ins Warme und zurück auf die große, zwar alte, aber auch gemütliche Ledercouch im Wohnzimmer.
Sie war eine von denen, die man aufgegeben hatte, setzte sie dort ihre zuvor begonnenen Überlegungen fort. Man hatte sie irgendwann aufgegeben und zurückgelassen, dort in ihrer kleinen Nische, irgendwo am Rand der Gesellschaft, versteckt im Nirvana der vielzähligen anderen, die wie sie nicht länger funktionierten.
Ihr war das recht gewesen, oft sogar auch lieber gewesen, denn man ließ sie meistens in Ruhe. Man ließ ihr die Ruhe in Ruhe zu sterben, dachte sie.
Viele hatten sie aufgegeben, sie rechneten längst nicht mehr damit, das ihr Leben wieder in "normale Bahnen" zurückkehren würde oder das sie es überhaupt überleben würde, dieses Leben.
Immer wieder von schweren Erkrankungen gezeichnet, körperlich wie psychisch, und durchgerüttelt und durchgeschüttelt von den Unwägbarkeiten ihres Lebens, war das über eine lange Zeit eine durchaus plausible Einschätzung ihrer Lage gewesen, die sie durchaus, und zwar in der überwiegenden Zeit, teilte. Ihre Lage war verdammt mies damals.
Und dennoch hatte sie irgendwie trotzdem nie komplett aufgegeben und immer wieder gekämpft und sich immer wieder gerieben, an offiziellen Stellen wie zum Beispiel Behörden oder Gerichten oder dem Energieversorger, dem Vermieter, der Bank und an ihrem Leben und an sich selbst und an der Vergangenheit, denn sie wollte und konnte nie ganz aufgeben.
In ihren schlimmsten Zeiten hielt sie sich an etwas unverrückbarem fest, an dem Gedanken, das all das einen Sinn haben mußte! [Und sollte!]
Und sie dachte an ihre Kinder, daran das sie gebraucht wurde.
Sie spürte, das dieses Dunkel und die Qualen, verursacht durch die Vielfachtraumatisierungen und die unzähligen Gewalterfahrungen nicht alles waren, da war noch mehr. Irgendwie wußte sie das. Sie hatte scheinbar doch noch den Hauch einer Ahnung, ihre Intuition war wohl doch nicht tot und sie spürte das da noch eine Kraft war, ein Rest Mü an Kraft, scheinbar reserviert für besondere Notsituationen.
Und so, sann sie nach, hatte es irgendwann klammheimlich angefangen, sich in ihr zu verändern. Es war als ob sie zunehmend eine Art Bewußtsein für dieses Hamsterrad und seine Aufarbeitung entwickeln würde.
Das ging mit ihrer Entscheidung zusammen, einen neuen Blog zu starten. Sich noch einmal hinzusetzen und ihr Leben via Blog aufzuschreiben und dadurch auch erneut aufzuarbeiten. Und ab da ging es eigentlich nur noch Schritt um Schritt weiter. Manchmal sogar im Laufschritt, so das sie Mühe hatte, ihrer eigenen Entwicklung hinterher zu kommen, dachte sie, sich erinnernd.
Ja, manchmal war das echt fett! Phasen, in denen neue Erkenntnisse geradezu über sie herfielen, so viele an der Zahl, so viele Einsichten, wo es früher so lange keine Antworten gegeben hatte und nun schienen sie geradezu "vom Himmel zu regnen", dachte sie, amüsiert durch den metaphorischen Begriff, der ihr spontan in den Sinn kam.
In der einen Phase war sie so gesättigt gewesen mit Input, das sie förmlich den Eindruck hatte überladen zu werden, spräche sie auch nur noch ein einziges Wort.
Gespräche waren ihr zu dieser Zeit ehr ein Graus. Sie wollte nicht sprechen, sie hatte nichts zu sagen, nichts mitzuteilen, sie war bis zum Bersten voll mit Information und Erleben und das wollte erst einmal zu einem intuitiven Wissen verarbeitet und verwoben werden. Es wollte Teil dieses "Balles" werden. In der Stille und in der Ruhe, im Zurückgezogensein, abseits der überaus lebendigen, schnelllebigen und reizintensiven Welt.
Und zwischen diesen beiden Phasen des Sprechens und des Schweigens, waren noch die Zustände des Chaos, des Nichtlängerwissens, der Neuordnung und der Veränderung der eigenen Sprache hin zu einem bewußten und achtsamen Kontakt mit sich selbst und mit ihrer Umwelt.
Oho, es war einiges los in dieser Zeit, dachte sie schmunzelnd. Begonnen, wieder neu begonnen, hatte es mit diesem Blog im August letzten Jahres.
Und nun, etwas mehr als ein Jahr später, war etwas wunderbares eingetreten, mit dem sie schon nicht mehr gerechnet hatte.
Das sie es schaffen würde, endlich ihren Frieden zu machen und abzuschließen mit der Vergangenheit. Etwas anders, als immer gedacht, denn es würde keine dramatische Auf- oder Abrechnung mehr zwischen den Beteiligten geben, aber es würde nun bald enden.
Sie war im Begriff zurück von der Vergangenheit in das Hier und in das Heute zu wechseln. Denn jetzt, das konnte sie zweifelsfrei sagen, hatte sie wieder ein Heute!
Vielleicht lag der Schlüssel auch darin, Veränderung annehmen zu können, bereit für sie zu sein oder sich bewußt für Veränderung zu entscheiden, sie aus dem tiefsten Inneren zu wollen und auch wollen zu können, in dem man berücksichtigte ob man über die inneren wie auch äußerlichen Ressourcen verfügte, die man für die Veränderung brauchte, überlegte sie.
Veränderung bedingte Entwicklung und Entwicklung war ein steter Prozess, der jedoch oft nicht im Vordergrund ablief, sondern sehr viel tiefschichtiger, verborgen im Inneren. Manchmal war die Veränderung direkt spürbar. So, wie heute wieder. Sie liebte diese Tage, wenn Dinge sich offensichtlich fügten und zusammenfanden.
Ich verändere mich, also bin ich, dachte sie grinsend und packte das Handy weg. Es war Zeit, sich auszuruhen. Und morgen war ein neuer Tag.
- Ende -
Pat - 15.11.2016
12:14h
23.11.2016 edit
Tags: Veränderung, Depression, Rückschau, Kurzgeschichte, Geschichte, IchunddieDepression, Leben, Liebe, Verbindung, Jetzt, Hier, Sie
Diese Kurzgeschichte gehört zur Text-Reihe:
Ich und die Depression • Die Depression und ich - Teil 5/Veränderung
Zu diesem Text:
Dieser Text wurde in Form einer experimentellen Kurzgeschichte um eine Art Alter Ego von mir geschrieben. Ihr Name ist mir noch nicht bekannt, daher tritt sie schlicht als "sie" in Erscheinung.
Der Text basiert überwiegend auf erlebten und zum Teil auf fiktiven Inhalten und Angaben, um mir dergestalt ein empfundenes Mehr an schriftstellerischen Freiheiten zu ermöglichen.
Der Text gehört dennoch als eine Art Update zu diesem Text:
"Die Veränderung kommt" vom 21.08.2015